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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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schließen.«
    Der Zeuge Bernd B., der eine Meinhof-verdächtige Person in Poppenbüttel gesehen hatte, erklärte nach der Gegenüberstellung dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes: »Ich habe die Frau, die ich damals in die genannte Wohnung habe gehen sehen, nicht wiedererkannt. Die Beschuldigte Meinhof, die sich bei der Gegenüberstellung unter den sechs Frauen befand, habe ich erkannt, weil ich wiederholt Fahndungs- und andere Fotos von ihr gesehen habe.«
    Ob das aber die Person aus Hamburg sei, wisse er nicht.

5. Kinderbesuch
    Anfang Oktober 1972 besuchten Ulrike Meinhofs Kinder ihre Mutter zum ersten Mal im Gefängnis. Die Mädchen waren inzwischen zehn Jahre alt und lebten beim Vater. Klaus Rainer Röhl begleitete die Zwillinge bis in den Warteraum, gleich hinter dem Gefängnistor. Die Kinder wurden von zwei Gefängnisbeamten, einem Mann und einer Frau, in Empfang genommen und in das Besuchszimmer geführt. Die beiden Beamten nahmen Platz, und nach wenigen Minuten wurde Ulrike Meinhof in den Raum gebracht. Sie war abgemagert, sah aber nicht mehr so angegriffen aus, wie die Kinder sie von den Fotos ihrer Festnahme in Erinnerung hatten. Die Beamten schlossen die Tür ab und traten zur Seite. Ulrike Meinhof blieb einen Moment stehen und sah die Mädchen an. Sie erschien den Kindern genauso verlegen, wie sie sich selbst fühlten. Dann umarmte sie ihre Töchter und fragte dabei, ob sie das überhaupt dürfe: »Kinder mögen ja manchmal nicht umarmt werden.« Dann lachte sie verhalten. Sie betrachtete die Zwillinge von allen Seiten: »Hey, ihr seid ja groß geworden.«
    Manchmal sah Ulrike Meinhof sich nach den Beamten um, fast ein wenig stolz und gleichzeitig besorgt, daß sie Einblicke in ihre Gefühlswelt bekämen. Die Kinder hatten ihre Mutter zwar fast drei Jahre nicht gesehen, aber nach wenigen Minuten plauderten sie los, erzählten von der Schule, den Freunden, ihren Klavierstunden und dem Leben zu Hause beim Vater. Ulrike Meinhof erkundigte sich nie direkt nach ihrem geschiedenen Ehemann, wollte aber erfahren, ob sich die Kinder bei ihm wohl fühlten.
    Die Zwillinge fragten nach dem Leben im Gefängnis, wollten wissen, wie das Essen sei.
    »Das Essen ist beschissen«, sagte Ulrike Meinhof. Einer der Beamten stand abrupt auf, ging auf sie zu und sagte: »Frau Meinhof, Sie dürfen nur sagen, das Essen finden Sie beschissen, nicht, das Essen ist beschissen.« Dann setzte er sich wieder hin.
    Ulrike Meinhof lachte ironisch: »Also, ich finde das Essen beschissen.« Bettina und Regine durften zwei Stunden bei ihrer Mutter bleiben. Alle ein bis zwei Monate kamen die Kinder – solange Ulrike Meinhof in der Haftanstalt Köln-Ossendorf einsaß.
     
    Nach dem ersten Besuch schrieb sie:
    »Ihr wart da! Ich glaube, der ganze Knast hat sich gefreut. So kam es mir vor. Besucht Ihr mich wieder?
    Neulich, im Oktober, standen bunte Drachen über dem Knast. Also da mußten irgendwo Kinder sein, die sie steigen ließen. Unheimlich hoch, grün und rot. Das war richtig schön. Und dann fliegen hier Möwen rum – vom Rhein rüber. Kennt Ihr Drosseln? Das sind Nachmacher. Sie gehören zur Familie der Amseln. Aber sie singen nicht wie Amseln, auch wie Rotschwänze, Scherenschleifer, Zaunkönige. Gibt’s so was in Eurem Garten? Ich wollte ja mal Vogelforscher werden. Aber die Vogelforscher haben auch ’n bißchen ’n Tick. Trotzdem. Sie haben gute Ohren …
    Laßt mal ruhig von Euch hören. Ihr zwei.
    Eure Mami.«
     
    Das Verhältnis zwischen Mutter und Töchtern wurde zunehmend vertrauter. Ulrike Meinhof gab ihnen Ratschläge für den Umgang mit Freunden, wieviel Taschengeld sie verlangen sollten, wie sie sich gegenüber Schwächeren in der Klasse verhalten müßten. Gelegentlich versuchte sie, den Zehnjährigen auch die Lage der Arbeiterklasse in der Bundesrepublik zu erklären, und daß Willy Brandt und die SPD nur das kleinere Übel seien.

6. »Den 24 -Stundentag auf den Begriff Haß bringen«
    Ende der sechziger Jahre hatten sich zur Unterstützung »politischer Gefangener« vor allem in Berlin und Frankfurt sogenannte Rote-Hilfe-Gruppen gebildet, um Solidaritätsaktionen »zur Abwehr der Maßnahmen von Justiz und Polizei« zu organisieren.
    Ende 1972 veröffentlichte die »Rote Hilfe Berlin« eine Dokumentation über die »Vorbereitung der RAF -Prozesse durch Presse, Polizei und Justiz«. Darin sollte auf die »Brutalität, mit der die Gefangenen fertiggemacht werden sollen, die Unverfrorenheit, mit der die

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