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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Austritt aus der Zelle bis zu seiner Rückkehr zu fesseln.
    Ausschluß von allen Gemeinschaftsveranstaltungen einschließlich Kirchgang.
    Täglich Zellenkontrolle in Abwesenheit des Gefangenen und Leibesvisitation.
    Zum Baden wird der Gefangene von zwei Bediensteten in das Bad der Hausvaterei geführt.
    Keine Arbeitszuweisung.«
     
    Nach acht Monaten in der »stillen Abteilung« Köln-Ossendorf schrieb Ulrike Meinhof:
    »Nun ist eine Verhaftung immer ein Hammer, der erste Knast, angenagelt in der Zelle. Aber ich kannte mich selbst nicht mehr. Ich brachte mich selbst nicht mehr mit mir zusammen. Alles, was ich hörte, auch von Genossen im Knast, konnte ich mit dem, was bei mir lief, nicht zusammenbringen. Es war schon ganz schön finster. Der Symptomatik nach war das, was lief, am nächsten dem, wie Elektroschockbehandlung beschrieben wird – von einem bestimmten Zeitpunkt an das, was Überdosisbehandlung bewirkt –, was man wiederum mit Folgen von Gehirnerschütterung vergleicht.
    Ab Mitte Dezember war’s mir dann endlich klar, daß ich mich da rauskämpfen muß, daß ich selbst kein Recht habe, diese maßlose Schweinerei länger mit mir machen zu lassen – daß es meine Pflicht ist, daß ich mich da rauskämpfe. Was man im Knast dann so macht: Wände bemalen – es zu ’ner Prügelei mit ’nem Bullen kommen lassen – Inventar zerstören, Hungerstreik. Ich wollte sie zwingen, mir wenigstens Arrest zu geben, weil man da was hört – da hat man kein Radio, diese Peter-Alexander-Plärrdose, zu lesen nur die Bibel, evtl. keine Matratze, kein Fenster etc. – aber das ist ’ne andre Art von Quälerei als nichts hören. Wäre für mich ganz klar ’ne Erleichterung gewesen …«
     
    Später, als Ulrike Meinhof aus der »stillen Abteilung« in Köln-Ossendorf in den benachbarten Männertrakt der Anstalt verlegt wurde, saß sie in jener Gefängniszelle, in der vor ihr der Kindermörder Jürgen Bartsch eingeschlossen war. Sie wußte das.
    Jahre zuvor hatte sie in »konkret« über ihn geschrieben.
     
    Der erste Kassiber, den Peter-Jürgen Boock zu Andreas Baader in die Zelle schickte, war ein kleines Zettelchen von fünf mal fünf Zentimetern. In winzig kleinen Buchstaben schrieb Boock, daß es ihn noch gebe, daß er nicht in der Kifferszene untergegangen sei. Er wolle weitermachen, wo sie aufgehört hätten, und am Ende solle eine Befreiungsaktion stehen.
    Baader antwortete rüde, das müsse viel schneller passieren. Boock hielt im nächsten Kassiber dagegen. So ginge das nicht, man wolle schließlich nicht dieselben Fehler noch einmal machen. Die Bedingungen hätten sich geändert, der Fahndungsapparat der Polizei sei sehr viel größer geworden. Es habe keinen Sinn, sofort in die Illegalität abzutauchen. Besser sei es, aus der Normalität heraus den Kampf vorzubereiten.
    »Zählt ihr euch zur Sachschadensfraktion?« gifteten die Gefangenen zurück, womit sie die »Revolutionären Zellen« meinten, die aus der Legalität heraus Anschläge verübten. »Das legale Land ist nicht das wirkliche Land«, zitierten sie Gramsci. Boock mußte erst einmal nachschlagen, wer Gramsci war, um den Sinn des Satzes zu verstehen. Dort las er dann: Es gebe immer eine legalistische Oberfläche, wo jeder sich an das Gesetz hält, man miteinander verheiratet ist, zur Arbeit geht und sein Leben lebt. Man könne behaupten, das sei die Wirklichkeit, das stimme aber nicht. In Wirklichkeit klaue der Vater im Betrieb, gemeinsam betrüge man die Steuer, die Kinder gingen ab und an nicht zur Schule. Das legale Land sei nicht das wirkliche Land. Die Oberfläche sei nicht die Wirklichkeit.
    Auf die konkrete Debatte bezogen, hieß das: »Die Wirklichkeit bestimmen, wahrnehmen und ändern kann man nur, wenn man unterhalb der Oberfläche lebt, wenn man die Oberfläche nicht lebt oder höchstens als Cover, als Täuschungsmoment, als Mimik benutzt.«
    Auf diese Weise ideologisch angeleitet, ging die entstehende »Zweite Generation« ihren allmählichen Weg in den Untergrund. Verschiedene Gruppen wurden gebildet, die kaum etwas voneinander wußten und als gemeinsamen Nenner nur die Beziehung zu den Gefangenen hatten. Wie beim Geheimdienst galt das strikte Abschottungsprinzip.
    In Hamburg fanden sich die »Hamburger Tanten« um die Häuserkampfzeile Eckhoffstraße zusammen, Silke Maier-Witt, Susanne Albrecht, Sigrid Sternebeck. Dazu kamen Karl-Heinz Dellwo und Stefan Wisniewski. In Karlruhe bildeten Adelheid Schulz, Monika Helbing, Christian

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