Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Klar und Knut Folkerts die süddeutsche RAF -Schiene. Man traf sich untereinander kaum. Die Kontakte wurden über »Reisekader« gehalten. Zusammenhalt gaben vor allem die Kassiber der Gefangenen, die streng getrennt gehalten wurden. Das alles hatte eine gewisse konspirative Logik, machte die Kommunikation aber höchst umständlich und zeitaufwendig.
8. Die Jagd auf den Leviathan
Im Dezember 1972 , noch während des Hungerstreiks, schrieb Ulrike Meinhof an ihre Kinder:
»Als Ihr hier wart, war ich ziemlich sauer über den Adventskranz. Ich dachte, das dient nur dazu, Euch zu täuschen, daß das Gefängnis in Wirklichkeit alles andere als freundlich ist. Aber die Wärterin, die ihn aufgestellt hat, hat es – glaube ich – wirklich gut gemeint – das habe ich inzwischen eingesehen. Sie wollte Euch wohl wirklich was Schönes machen. Dagegen kann man nix sagen.
Wenn Ihr Onkel Ebi wieder besucht, dann nehmt ihm mal das Buch ›Lord Jim‹ von Josef Conrad mit. Das ist ein schönes Buch fürs Krankenhaus falls er’s nicht schon kennt.
Es ist schön lang und auch spannend. Ein Seemannsgarn.
Und ›Moby Dick‹, das ist auch gut, wenn man schön viel Zeit hat. Das habe ich aber noch nicht gelesen – da warte ich selber noch drauf, daß ich das hier kriege …«
Gudrun Ensslin hatte gerade Decknamen für die Gruppenmitglieder ersonnen, um die Postüberwacher irrezuführen. Fast alle Namen entlehnte sie Herman Melvilles Roman »Moby Dick«.
»Ahab« stand für Baader. »Starbuck« für Holger Meins. »Zimmermann« für Jan-Carl Raspe. »Quiqueg« für Gerhard Müller. »Bildad« für Horst Mahler. »Smutje« für sie selbst.
Nur Ulrike Meinhof hatte keinen Platz in der Geschichte von der Jagd auf den weißen Wal. Für sie wählte Gudrun Ensslin den Namen »Theres«. In Meyers Konversationslexikon, 1897 , steht unter dem Stichwort »Therese«: »Therese von Jesu, Heilige, geb. 1515 zu Avila in Altkastilien, wo sie 1535 in ein Karmeliterkloster eintrat. Sie stellte in den von ihr reformierten Klöstern der unbeschuhten Karmeliterinnen den Orden in seiner ursprünglichen Reinheit wieder her und hatte schwere Verfolgungen von seiten der Karmeliter der laxen Observanz auszustehen, die selbst gegen sie einen Ketzerprozeß anstrengten. Sie starb 1582 im Kloster zu Alba de Liste in Altkastilien und ward 1622 kanonisiert.«
Bei den Decknamen, die Gudrun Ensslin der Besatzungsliste des Walfängerschiffes »Pequod« entnahm, lieferte sie die Interpretation teilweise mit. »Smutje«, der Koch, so schrieb sie an Ulrike Meinhof, das sei sie selbst: »Du erinnerst, der Koch hält die Töpfe spiegelblank und predigt gegen die Haie.«
In der Crew der Walfänger war der Koch ein alter Neger, der vom Deck des Schiffes aus den Haien eine Predigt hielt, damit sie vom erlegten Pottwal abließen. Er war damit nicht sonderlich erfolgreich, auch wenn der zweite Steuermann ihm zurief: »Gut gesprochen, Smutje, das nenn ich wahrhaft christlich. Mach weiter.« Aber: »An Bord ist der Koch ja eine Art Offizier.« So war es auf der »Pequod«, und so war es wohl auch bei der RAF .
Ahab war der Kapitän, der sich auf der Jagd nach Moby Dick, dem weißen Wal, verzehrte.
Ahab wurde der Deckname für Baader. Auch hier gab Gudrun Ensslin ihren Mitgefangenen Verständnishilfe. Sie schrieb an »Theres«: »An der Stelle tritt niemand geringeres als Ahab zum ersten Mal in Moby Dick auf, sehr kunstvoll, nach diesen Gesetzen.« Sie zitierte Melville: »… sichtbar vor aller Welt. Und sollte von Geburt an oder durch besondere Umstände hervorgerufen tief auf dem Grunde seiner Natur etwas Krankhaftes sein eigensinnig grillenhaftes Wesen treiben, so tut das seinem dramatischen Charakter nicht den geringsten Eintrag. Alle tragische Größe beruht auf einem Bruch in der gesunden Natur, des kannst du gewiß sein …«
Kapitän Bildad, dessen Namen Gudrun Ensslin »in Großmut«, wie sie schrieb, Horst Mahler zugedacht hatte, war ein wohlhabender Waljäger im Ruhestand, dessen »Ozeanleben … diesen Erzquäker nicht um Haaresbreite vom Wege abgebracht, nicht den winzigsten Zipfel seines Rockes berührt« hatte.
Bei Melville heißt es weiter: »Und doch offenbarte der Wandel des würdigen Kapitäns Bildad bei allen strengen Grundsätzen einen Mangel an einfachster Konsequenz. Wenn er sich auch geschworen hatte, kein Menschenblut zu vergießen, so hatte er in seinem enganliegenden Quäkerrock das Blut Leviathans in Tonnen und aber Tonnen
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