Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Berlin verlegt. Es ging um ihre Beteiligung an der Befreiung Andreas Baaders 1970 . Horst Mahler war beim ersten Prozeß freigesprochen worden, der Bundesgerichtshof hatte das Urteil gegen ihn jedoch wieder aufgehoben. So saßen auf der Anklagebank im Saal 700 des Kriminalgerichts Moabit Ulrike Meinhof, Horst Mahler und Hans-Jürgen Bäcker, den der Staatsanwalt für den Mann hielt, der den Bibliotheksangestellten Georg Linke niedergeschossen hatte.
Ulrike Meinhof wirkte krank, saß stumm auf der Bank, tauschte kaum Blicke mit Mahler aus.
Und dann sagte sie aus, vierzig Minuten lang, mit matter Stimme, fast tonlos, ohne beschwörende Empörung, sachlich. »Könnt ihr mich verstehen?« fragte sie manchmal zwischendurch, an die Zuhörer gewandt. Sie erläuterte die Ziele der RAF : »Antiimperialistischer Kampf, wenn das nicht nur Geschwätz sein soll, heißt: Vernichtung, Zerstörung, Zerschlagung des imperialistischen Herrschaftssystems – politisch, ökonomisch, militärisch.«
Danach kündigte Ulrike Meinhof den Hungerstreik der Gefangenen an, erklärte die Forderungen: Renten- und Sozialversicherung für alle Gefangenen, freie Arztwahl, Streikrecht, sexuelle Kontakte ohne Überwachung, Besuche ohne Kontrollen, Aufhebung der Briefzensur, Abschaffung der Jugendstrafanstalten, Einrichtung gemischter Vollzugsanstalten. »Wenn die Schweine im einen oder anderen nachgeben, um so besser. Dann können wir mit unseren Kräften für etwas anderes kämpfen.«
Bei den meisten Journalisten im Saal erregte Ulrike Meinhof mit ihrer Erklärung nur noch Mitleid. Einer schrieb: »Ulrike Meinhof redet, die Schärfe ihres Verstandes mitleidslos gegen sich selber gewendet. Eine Selbstmärtyrerin, eine von sich selbst berufene Jeanne d’Arc des proletarischen Internationalismus, die keine andere Armee hinter sich hat als diejenigen, die sie die RAF nennt, ein Spukgebilde in ihrem armen gescheiten Kopf …«
Unmittelbar nach Ulrike Meinhofs Auftritt in Moabit begannen die Gruppenmitglieder in den verschiedenen Haftanstalten mit ihrer Nahrungsverweigerung. Horst Mahler hungerte nicht mit.
Kaum vierzehn Tage später erklärte Monika Berberich als Zeugin im Baader-Befreiungsprozeß, Mahler sei »vor einiger Zeit, und zwar einstimmig, aus der RAF rausgeflogen«. Mahler sei wegen seines Dünkels, seiner Allüren und seines Herrschaftsanspruchs ausgeschlossen worden. Monika Berberich nannte ihn einen »belanglosen Schwätzer und eine lächerliche Figur«.
Nach seiner Haftentlassung schrieb Horst Mahler über die RAF in den Gefängnissen: »Wer überzeugt ist, durch die Abgeschlossenheit zerstört zu werden, der bekommt wirklich Kreislaufbeschwerden und dessen Bewußtsein wird wirklich getrübt. Wer sich den Gedanken einhämmert, mittels der Vorenthaltung von sinnlichen Reizen und menschlicher Kommunikation langsam umgebracht zu werden, der wird tatsächlich daran sterben – vielleicht, indem er Hand an sich legt.«
Mahler rief seinen hungernden Exgenossen in den Gefängnissen noch ein aufmunterndes Wort zu: »Ein Indianer weint nicht!«
12. »Eine scheinheilige Sau aus der herrschenden Klasse«
Schon Monate vor Beginn des dritten Hungerstreiks hatte Ulrike Meinhof mit der Arbeit für das »grundlegende Werk« über die Geschichte der RAF beginnen sollen. Sie wollte es »Über den antiimperialistischen Kampf« nennen. Im internen Gruppenjargon wurde das Projekt »Bassa« genannt, nach dem Staudamm »Cabora Bassa« in Moçambique. Handschriftlich machte Ulrike Meinhof die ersten Notizen dazu:
»Die Bildung der RAF 1970 hatte in der Tat spontaneistischen Charakter. Die Genossen, die sich ihr anschlossen, sahen darin die einzige wirkliche Möglichkeit, ihre revolutionäre Pflicht zu erfüllen.
Angeekelt von den Reproduktionsbedingungen, die sie im System vorfanden, der totalen Vermarktung und absoluten Verlogenheit in allen Bereichen des Überbaus, zutiefst entmutigt von den Aktionen der Studentenbewegung und der Apo hielten sie es für nötig, die Idee des bewaffneten Kampfes zu propagieren.
Nicht weil sie so blind waren, zu glauben, sie könnten diese Initiative bis zum Sieg der Revolution in Deutschland durchhalten, nicht weil sie sich einbildeten, sie könnten nicht erschossen und nicht verhaftet werden.
Nicht weil sie die Situation so falsch einschätzten, die Massen würden sich auf ein solches Signal hin einfach erheben.
Es ging darum, den ganzen Erkenntnisstand der Bewegung von 1967 / 68 historisch zu
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