Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
die Praxis des antiimperialistischen Kampfes zu transportieren …«
Jean-Paul Sartre wurde mit großem Gefolge in Stammheim vorgefahren. Am Steuer des Wagens saß Hans-Joachim Klein, damals Anwaltsgehilfe im Büro des Rechtsanwalts Croissant. Später wurde er selbst zum Terroristen und war dabei, als die Carlos-Truppe 1975 in Wien die Konferenz Erdöl exportierender Länder ( OPEC ) überfiel und Geiseln nahm. 1977 schickte er seine Waffe an den »Spiegel« und erklärte seinen Ausstieg aus dem Terror.
Nach dem Besuch bei Baader gab Sartre eine Pressekonferenz, bei der Daniel Cohn-Bendit, deutsch-französischer Studentenführer und Jahre später Grünen-Politiker, übersetzte. Als der Philosoph den Gefangenen Baader als Dummkopf bezeichnete, setzte der Dolmetscher aus.
»Warum haben Sie Baader im besonderen besucht?« fragte ein Journalist.
»Die Gruppe heißt Baader-Meinhof-Gruppe, und Baader ist deren Chef.«
»Drückte sich Baader in der Diskussion gut aus?«
»Er war schwach, er hatte seinen Kopf in den Händen, um ihn hochzuhalten. Er hatte Konzentrationsschwierigkeiten.«
»Braucht Demokratie solche Methoden wie die der RAF ?«
»Diese Gruppe gefährdet die Linke. Sie ist für die Linke schlecht. Man muß zwischen den Linken und der RAF unterscheiden.«
»Wessen Idee war dieser Besuch? Und warum jetzt?«
»Jetzt ist die richtige Zeit. Ich kam, um zu helfen – vor drei Monaten wäre das nicht möglich gewesen. Die Initiative kam von Croissant. Der Grund für den Hungerstreik waren die Haftbedingungen.«
Die gesamte internationale Presse berichtete über Sartres Besuch bei Baader. Die deutschen Zeitungen betrachteten ihn als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik. »Sartre inszenierte sein schlechtestes Stück« überschrieb die »Welt« ihren Bericht. Die »Frankfurter Rundschau« kommentierte: »Zu allem Überfluß muß der Rechtsstaat auch noch mit Verdächtigungen ausländischer Weltenrichter fertig werden, die, wie jetzt gerade der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre, nach eigenem Eingeständnis von deutschen Verhältnissen wenig Ahnung haben, dafür aber nach einer Stunde Aufenthalt in Stuttgart-Stammheim alles über die Haftbedingungen der dort eingesperrten Terroristen wissen …«
In der Öffentlichkeit galt Jean-Paul Sartre nun als RAF -Sympathisant. Nach dem Treffen schrieb Baader an die anderen Gefangenen:
»Ich habe über Haftbedingungen nicht gesprochen … die Situation war völlig irre; ich weiß nicht, was er überhaupt verstanden hat …
Ich würde aber sagen: Was mich betrifft, war das Ganze so präzise und gezielt und bewußt wie möglich – was ihn angeht, hatte ich den Eindruck von Alter …«
21. Anwälte: »Mietwucherer, intrigante Lügner und korrupte Ratten«
Der Hungerstreik dauerte 140 Tage. Holger Meins hatte ihn nicht überlebt. Fast alle RAF -Gefangenen hatten gesundheitliche Schäden davongetragen. Günter von Drenkmann war ermordet worden.
Die RAF als Organisation hatte sich nach außen hin profiliert: als Kampftruppe gegen die »Isolationsfolter«. Die »Rote Armee Fraktion« war ihr eigenes Thema geworden. Von der Jahreswende 1974 / 75 an ging der gesamte Kampf der RAF – ob drinnen oder draußen – fast ausschließlich um die Befreiung der Gefangenen selbst.
Schon die Erklärung, mit der am 2 . Februar 1975 der Hungerstreik beendet wurde, signalisierte diese Entwicklung:
»An die Gefangenen aus der RAF .
Wir bitten Euch, den Streik jetzt abzubrechen, obwohl … seine Forderung, die Aufhebung der Isolation, nicht durchgesetzt werden konnte.
Versteht das als Befehl.
Wir nehmen Euch diese Waffe, weil der Kampf um die Gefangenen … jetzt … mit unseren Waffen entschieden wird.«
Baader und Raspe sagten dem Anstaltsarzt Dr. Henck: »Wir hören heute auf.« Daraufhin ging er auf die andere Seite des Traktes zu den Frauen und teilte Ulrike Meinhof den Entschluß der Männer mit: »Sie sollten auch wieder anfangen zu essen.«
»Das tun wir nicht«, antwortete Ulrike Meinhof. »Das wollen wir schriftlich sehen, von Andreas.«
Henck ließ sich von Baader mit Filzschreiber auf einen großen Papierbogen schreiben: »essen«, darunter ein »A«.
Er gab den Zettel Ulrike Meinhof, und sie begann wieder zu essen.
Der Anstaltsarzt hatte sich oft Gedanken über das gruppendynamische Verhalten der Gefangenen gemacht. Der Vorgang paßte in sein Bild.
Später sagte er: »Ich hatte den
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