Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
»glänzende Speckschwarte«. Stoll gab zurück: »Ach wissen Sie, besser dick und frei als dünn und drin.«
Bei der Zwangsernährung war Stoll einmal die Spritze mit der Nährflüssigkeit ausgerutscht. Der zähe Brei schoß an die Decke und tropfte dem Arzt, einigen Beamten und dem Gefangenen übers Gesicht. Stoll rief: »Das Auge ißt mit.« Die Beamten prusteten vor Lachen, der Gefangene nicht.
»Sie konnten nur übereinander lachen oder aneinander vorbei«, schrieb Bubeck-Biograph Oesterle. Nur eine einzige Ausnahme sei Bubeck in Erinnerung geblieben. Eines Tages erhielt Baader Besuch von einer Sympathisantin, einer jungen Frau. In der Besucherzelle redete sie in Baaders eigenem Revolutionsjargon auf ihn ein. Bubeck: »Die Frau schwatzte etwa eine Minute lang RAF -Polit-Kauderwelsch. So lange schaffte er es zumindest, ihr zuzuhören, dann riß ihm der Geduldsfaden. Er sprang auf und rief: ›Bubeck, bringen Sie mich hier raus! Die Alte ist ja verrückt.‹« Auf dem Rückweg trafen sich die Blicke des Gefangenen und seines Aufpassers einen Moment lang, und sie lachten anfallartig los. Doch kurz darauf setzte Baader wieder seine abweisende Miene auf: Keine Zusammenarbeit mit den Vollzugsschweinen.
Erst als Gefängnisbeamte im Ausschuß berichteten, wurde auch klar, wie überfordert sie gewesen waren. Der Vollzugsbeamte Bubeck: »Sie waren uns natürlich in allen Bereichen geistig weit, weit überlegen. Wobei ich sagen muß, bewußt haben sie es nicht ausgespielt oder uns irgendwie merken lassen. Aber der einzelne hat das eben doch gespürt.«
Der stellvertretende Anstaltsleiter Schreitmüller erinnerte sich: »Als es hieß, Stammheim sei ein fideler Knast und die Gefangenen da oben, die hätten das wunderbarste Leben, da hab ich gesagt, ich möchte dieses Leben nicht haben, ich möchte lieber ein normaler Gefangener sein. Denn das war ja gerade dieses Wechselbad, dieses Kneipp-Bad, einmal der Vorwurf der Isolationsfolter, wo wir dann alles tun sollten, um die Gefangenen sozusagen nicht haftunfähig werden zu lassen – und dann kam der andere Vorwurf, wir wären ein fideler Knast.«
Fast täglich bekamen die Gefangenen zu dieser Zeit Besuch von ihren Verteidigern. Die Besucherliste von Andreas Baader zum Beispiel sah an manchen Tagen aus wie der Terminkalender eines Anwalts, nur empfing hier nicht ein Rechtsanwalt seine Mandanten, sondern der Mandant seine Anwälte.
24 . Januar 1975 :
10 . 20 Uhr bis 10 . 55 Uhr Rechtsanwalt Haag
10 . 58 Uhr bis 11 . 10 Uhr Rechtsanwalt Haag
14 . 20 Uhr bis 14 . 35 Uhr Rechtsanwalt Haag
14 . 35 Uhr bis 15 . 20 Uhr Rechtsanwalt Schily
14 . 45 Uhr bis 15 . 55 Uhr Rechtsanwältin Becker
15 . 20 Uhr bis 15 . 32 Uhr Rechtsanwalt Groenewold
15 . 32 Uhr bis 15 . 45 Uhr Rechtsanwalt Haag
In diesem einen Monat bekam Baader 58 Besuche von acht verschiedenen Anwälten. Insgesamt wurde er vom 8 . November 1974 bis zum Beginn der Kontaktsperre im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung am 5 . September 1977 523 mal besucht. Darunter waren 43 Privatbesuche.
Die Anwaltsbesuche dienten vor allem der Vorbereitung und später der Verteidigung im Stammheimer Prozeß. Und doch dürfte – abgesehen von den Mitangeklagten Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe – wohl kaum ein Untersuchungsgefangener in der Bundesrepublik so intensiv von seinen Verteidigern betreut worden sein wie Andreas Baader.
Dabei war das Verhältnis zwischen den inhaftierten RAF -Kadern und ihren Anwälten weniger gut, als man in der Öffentlichkeit mutmaßte; den Sicherheitsbehörden war das durchaus bekannt.
Im April 1975 stieß die Bundesanwaltschaft bei der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei auf ein Schreiben, das mit »a« unterzeichnet war – Andreas Baader. Es war an die Rechtsanwälte Golzem und von Plottnitz gerichtet und stammte vom 5 . Februar.
In rüdem Ton versuchte Baader, die Anwälte auf eine bestimmte Verteidigungslinie festzulegen:
»Na schön, kommt noch mal her, dann legen wir die Bedingungen politischer Verteidigung fest – verbindlich für die Prozesse und die Verteidigung durch Mobilisierung revolutionärer und demokratischer Öffentlichkeit.«
Die Alternative: »Wir verständigen uns nicht, und Ihr verliert die Mandate.«
Baaders erste Bedingung: »Die Gefangenen bestimmen die Prozeßstrategie, und zwar kollektiv.«
Wenn irgendeiner der Verteidiger damit nicht einverstanden sei, dann müsse er eben »rausgehen«. Keiner der Anwälte könne das Mandat
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