Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
behalten, wenn er die Gefangenen in Interviews oder Komiteearbeit bekämpfe. Einige bekamen sofort ihr Fett ab: Golzem habe »intrigante Lügen drauf«, Groenewold sei ein »Mietwucherer«, Koch eine »korrupte Ratte«, die sich bei den Gefangenen besser nicht mehr sehen lassen sollte. Einige, so Baader, »versuchen die Gefangenen einzuseifen, indem sie ihren albernen Verbalradikalismus hier anbringen«. Über den Rechtsanwalt Koch meinte Baader noch: »Jetzt fragt man sich natürlich, warum ich ihn nicht zusammengetreten habe: aus Desinteresse. Es ist aber nicht sicher, daß das so bleibt, wenn er seine Schnauze hier noch mal reinsteckt.«
Schily sei ein anderes Problem. Der Berliner Anwalt hatte kurz zuvor Katharina Hammerschmidt beraten und begleitet, als sie sich den Behörden stellte. Baader meinte: »Eigentlich muß man ihn nach der Sache mit Cat sofort loswerden. Was so ’n Typ anrichten kann, wenn sich Militante an ihn wenden, weil er uns verteidigt (und auch ganz systematisch als die Top-Figur der Verteidigung aufgebaut wird, obwohl er nichts tut), haben wir an Cat gesehen.«
Baaders Urteil über Schily: »Ich denke, daß der Typ in jedem Prozeß stört.« Es sei besser, klarzumachen, daß der Staat in diesem Prozeß nicht nur die Gerichte, Urteile und Beweise durchorganisiert habe, sondern auch die Anwälte. »Also dann lieber Pflichtverteidiger, die man als Bullen in Roben bezeichnen kann.«
22. Anwälte: »Helfer der Terroristen«
Nacheinander waren BM -Anwälte wie Groenewold, Croissant, Ströbele und Lang aufgrund zum Teil fadenscheiniger Verdachtsmomente von der Vertretung der RAF -Gefangenen ausgeschlossen worden. Der Bonner Gesetzgeber war ebenfalls nicht untätig geblieben. Am 20 . Dezember 1974 verabschiedete der Bundestag eine Reihe von Gesetzen, um die Abwicklung der RAF -Prozesse für die Justiz zu erleichtern. Dies geschah nach monatelangen Diskussionen um die Rolle der RAF -Verteidiger und unter dem Eindruck von Holger Meins’ Hungertod und dem Mord an Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann.
Es gab nun die Möglichkeit, einen Verteidiger von einem Verfahren auszuschließen, wenn er »verdächtig ist, an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt zu sein oder eine Handlung begangen zu haben, die für den Fall der Verurteilung des Beschuldigten Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei wäre«.
Es reichte der Verdacht aus. Beweise waren nicht nötig.
Zu welchen grotesken Folgen das führte, zeigte sich im Fall des Rechtsanwalts Ströbele, für dessen Ausschluß es genügte, daß er seine Mandanten als »Genossen« bezeichnete, sich »Sozialist« genannt und seine Arbeit als »politische Verteidigung« verstanden hatte. Damit sei er dringend verdächtig, eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben. Das wurde in den entsprechenden Beschlüssen etwas detaillierter und juristischer ausgedrückt, lief im Endeffekt aber auf nichts anderes hinaus. Die Anwälte Croissant und Groenewold wurden mit ähnlich dürftigen Begründungen von der Verteidigung ausgeschlossen.
Die zweite wesentliche Gesetzesänderung verbot die Gemeinschaftsverteidigung. Früher konnte ein Anwalt mehrere Beschuldigte im selben Verfahren vertreten, dies war nun nicht mehr zulässig. Vertrauensanwälte der RAF -Angeklagten, die sich jahrelang zusammen auf den Prozeß vorbereitet hatten, durften nicht mehr gemeinsam verteidigen. Die Prozeßstrategie »Jeder Verteidiger vertritt jeden Angeklagten« war dadurch nicht mehr möglich. Zudem durften auch Rechtsanwälte, die in anderen Terroristenverfahren tätig waren, zum Beispiel in Stammheim, nicht mehr verteidigen. Bei der Fülle derartiger Verfahren gab es bald kaum noch qualifizierte Verteidiger für solche Prozesse. Im Laufe der nächsten Jahre traten in »Terroristenverfahren« deshalb immer mehr berufliche Neulinge an.
Noch gravierender wirkte sich die Neufassung des Paragraphen 231 der Strafprozeßordnung aus, wonach eine Hauptverhandlung auch in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt werden konnte, wenn diese sich »vorsätzlich in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt und dadurch die Durchführung der Hauptverhandlung verhindert« hatten. Dies war vor allem eine Antwort auf die Hungerstreiks.
Den Behörden erschien die »Sicherheitslage« entspannt. Die namentlich bekannten Terroristen der ersten Generation waren fast alle in Haft. Eine Expertenkommission der Innenministerkonferenz sah die zuvor beschlossene
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