Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Weisungsbefugnis des Bundeskriminalamts im Zusammenhang mit dem » BM -Komplex« als erledigt an. Sonderkommandos der Kripo wurden aufgelöst, weil man nur noch »einzelne versprengte Reste« im Untergrund wähnte.
Die als »Verschlußsache« » VS – vertraulich« gestempelten Lageberichte des BKA -Beamten Alfred Klaus, der aus den Zellenzirkularen die innere Struktur der Gruppe rekonstruiert hatte, verstaubten in den Schreibtischen untergeordneter Sachbearbeiter.
23. Die ersten der »zweiten Generation«
Einem Stuttgarter Anwaltsbüro war inzwischen besondere Bedeutung zugewachsen: der Kanzlei des Rechtsanwalts Dr. Klaus Croissant in der Langen Straße 3 . Croissant war ein durchaus bürgerlicher Anwalt gewesen, mit einem normalen Büro, normalen Mandanten, normalem Büropersonal und normalen Fällen.
Croissant und sein Kollege Jörg Lang hatten in Stuttgart 1973 das »Komitee gegen die Isolationsfolter« gegründet, einen Zusammenschluß Linker bis Linksliberaler, denen es um die Veränderung der Haftbedingungen für RAF -Gefangene ging. Das Spektrum der Mitglieder reichte vom »stern«-Reporter bis zum SPD -Stadtrat.
Anfang 1974 tauchte Rechtsanwalt Lang unter. Die Lücke im Komitee füllten damals ein paar jüngere Leute aus der »Roten Hilfe«. Einer von ihnen war Volker Speitel, ein junger Graphiker, der später zum wichtigsten Zeugen des Bundeskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit den Todesfällen von Stammheim werden sollte.
Speitel hatte zusammen mit seiner Frau Angelika und dem später bei einer RAF -Fahndung erschossenen Willy Peter Stoll in einer Wohngemeinschaft gelebt. Sie hatten sich mehr für den Drogenapostel Timothy Leary interessiert als für Politik.
Als gemeinsame Projekte alternativer Arbeits- und Lebensformen im Ansatz steckenblieben, nahmen sie Kontakt zur »Roten Hilfe« auf. »So chaotisch diese Gruppe auch war, so füllte sie zumindest mal das Vakuum meiner Orientierungslosigkeit«, schrieb Speitel später. Ein Teil der »Roten Hilfe« neigte der aktiven Unterstützung der RAF zu. Speitel wußte wenig von der »Roten Armee Fraktion«, aber er war beeindruckt von den Anschlägen auf die US -Einrichtungen in Frankfurt und Heidelberg, der Entschluß, zur »Knarre zu greifen«, erweckte seine ungeteilte Bewunderung.
Während des großen Hungerstreiks im Herbst 1974 näherten sich die Leute von der »Roten Hilfe« dem »Komitee gegen die Isolationsfolter« immer weiter an.
Weil sie bereit waren, Plakate zu kleben, Flugblätter zu verteilen, bekamen sie dort immer mehr Einfluß. Angelika und Volker Speitel begannen, im Büro Croissant zu arbeiten. Bald übernahmen sie die Betreuung der Gefangenen, organisierten den über das Büro laufenden Info-Dienst der RAF , sammelten Zeitungsausschnitte, vervielfältigten die Rundbriefe der Häftlinge, besorgten Bücher, trieben Spenden ein. Daraus entwickelte sich ein »Lernprozeß« für Volker und Angelika Speitel und andere aus ihrer Gruppe.
Speitel später: »Die Gefangenen gaben Anregungen und Vorschläge selbst für die kleinsten Büroabläufe wie Fotokopieren und Telefondienst. Sie konzipierten eine politische Schulung für uns.«
Dann starb Holger Meins. »Der Tod von Holger Meins und der Entschluß, die Knarre in die Hand zu nehmen, waren eins. Ein Nachdenken war nicht mehr möglich, es reagierte nur noch der emotionale Schub der letzten Monate.«
Volker Speitel ging in den Untergrund. Später behauptete er, der Anwalt Siegfried Haag habe den Kontakt zu den »Illegalen« hergestellt. Treffpunkt war eine Kneipe in Frankfurt, wo ihn Hanna Krabbe und Bernhard Rössner empfingen und zum »Stützpunkt«, einer möblierten Dachkammer, führten. Dort warteten Lutz Taufer, Ulrich Wessel und andere. Als Speitel die kleine Dachkammer betrat und das erste Gespräch mit den »Illegalen« führte, war er enttäuscht: »Was von der früheren RAF -Struktur noch existierte, waren Sprengstoff und Handgranaten sowie ein Manuskript über Fälschertechniken und Geld. Der Polizei ist es praktisch gelungen, die RAF völlig trockenzulegen. Bis auf unsere zum damaligen Zeitpunkt fünf Personen zählende Gruppe existierte die RAF Ende 1974 nicht mehr bzw. nur noch im Knast.«
Die Stammheimer Gefangenen wollten endlich Taten sehen. Für sie war die erste Nachfolgegeneration, die sich Ende 1973 in Hamburg gebildet hatte und in einer Blitzaktion der Polizei am 4 . Februar 1974 gefaßt worden war, ein abschreckendes Beispiel. Die
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