Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Gerichts – selbst herbeigeführt hatten. Dadurch sollte eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung gesichert werden. Für das Stammheimer Verfahren machte Prinzing folgende Rechnung auf: »Die Beweisaufnahme wird sich ungewöhnlich umfangreich gestalten; schon die Bundesanwaltschaft hat 997 Zeugen und achtzig Sachverständige benannt.« Bei den von den medizinischen Gutachtern vorgeschlagenen höchstens neun Verhandlungsstunden pro Woche ließe sich das Verfahren nicht in angemessener Zeit abwickeln.
»Schämen Sie sich nicht?«, unterbrach Rechtsanwalt Schily die Ausführungen des Vorsitzenden. Doch Prinzing ließ sich nicht beirren. Er zitierte die Aussage eines Gefängnisbeamten, der gehört haben wollte, wie Baader bei einem Treffen den anderen drei Angeklagten erklärt hatte: »Wir müssen krank sein, wir müssen gebrochen wirken«, und endete mit den Worten: »Der Senat hält die weitere Anwesenheit der Angeklagten nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht für unerläßlich. Sie werden zur Hauptverhandlung wieder zugezogen, sobald sie verhandlungsfähig sind.«
»Heil, Prinzing«, rief Rupert von Plottnitz.
Der Vorsitzende erkundigte sich: »Ist das zu Protokoll genommen, daß Herr von Plottnitz im Augenblick bemerkte ›Heil, Dr. Prinzing‹? Ich bitte, das zu protokollieren.«
»Das ist doch unglaublich, unglaublich«, empörte sich Schily, »da haben Sie den Rechtsstaat wirklich ruiniert.« Und zur Bundesanwaltschaft gewandt sagte er: »Herzlichen Glückwunsch, Herr Zeis, gratuliere, gratuliere.«
Meldung Stammheim, vom 30 . September 1975 :
»Gegen 13 . 00 Uhr öffnete ich die Zelle 711 , um Herrn Raspe zum Anwalt zu holen.
Sofort kam Baader auf mich zu mit den Worten: ›Ihr miesen Schweine, wer von euch hat drüben erzählt, wir müßten krank erscheinen. Wir bekommen das Schwein raus, auch wo er wohnt.‹«
Meldung vom 1 . Oktober 1975 :
»Zusammenschluß Baader, Raspe, Meinhof und Ensslin. Baader: ›Miesterfeld [Vollzugsbeamter], Sie sind doch ein Schwein, Sie haben uns den Satz eingebrockt.‹«
Meldung vom 8 . Oktober 1975 :
»Zusammenschluß der Untersuchungsgefangenen.
Gedächtnisprotokoll:
13 . 30 bis 14 . 00 Uhr Baader schimpfte auf die Anwälte Plottnitz und Riedel, dann unterhalten sie sich über Prozeß und Haftbedingungen.
Baader sagte: ›Warum ändert das Schwein dann nicht die Haftbedingungen.‹ Ansonsten wurden Fragen auf Zettel geschrieben oder so leise gesprochen, daß man es nicht verstehen kann.
14 . 00 bis 14 . 30 Uhr Gespräch wurde sehr leise geführt. Der Name Croissant ist öfter gefallen. Nichts Konkretes zu verstehen. Baader: ›Miesterfeld, paß auf, du Schwein, ich mag keine Denunzianten …‹
15 . 00 bis 15 . 30 Uhr Als ich Oberwachtmeister Koutny ablöste, sagte Baader zu Meinhof und Ensslin: ›Der da ist es, der hat eine besondere Aufgabe …‹
Zwischenfrage von Ensslin: ›Wie heißt der denn?‹ Baader: ›Der ist bestimmt von Bonn eingesetzt.‹
Meinhof sagte etwas Unverständliches. Baader: ›Diese Bullen, dieser kleinkarierte Miesterfeld, die vollgefressenen Knastsäcke.‹ Darauf die Meinhof: ›Ja, ja, die sind total verknastet.‹ Die sonstige Unterhaltung war kaum verständlich. Es fielen des öfteren Worte wie Kuba, CIA , Unterdrücker usw.«
Als die »Abteilung 3 «, der Terroristentrakt, in Stammheim eingerichtet worden war, hatte die Pressestelle des Justizministeriums eine Erklärung abgegeben, daß dort »besonders zuverlässige und ausgewählte Beamte« Dienst verrichteten. Seitdem war das Verhältnis zwischen den Baader-Meinhof-Bewachern und ihren Kollegen aus den anderen Abteilungen der Anstalt getrübt.
Von den Kollegen scheel angesehen, von den Gefangenen nicht selten übel beschimpft, waren die Vollzugsbeamten im siebten Stock besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt. Einer von ihnen erlitt einen Nervenzusammenbruch und mußte abgelöst werden. Andere schrieben gelegentlich Ersuche um Versetzung und konnten nur durch gutes Zureden der Anstaltsleitung dazu bewogen werden, weiter in der dritten Abteilung Dienst zu tun.
»Die Beamten mußten sämtliche Arbeiten dort oben verrichten«, sagte der Beamte Bubeck vor dem Stammheimer Untersuchungsausschuß. »Sie mußten also, wenn ich an den Hungerstreik denke, über Monate hinweg Tag für Tag die Gefangenen mit Gewalt aus der Zelle holen, sie auf die Trage legen, festschnallen. Nachher mußten sie sie dann genau wieder versorgen und betreuen.
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