Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
ein Idiot«, übertönte Gudrun Ensslin das allgemeine Geschrei.
Baader stand auf und blieb vor der Anklagebank stehen: »Das ist doch einfach ganz klar, daß Sie hier jetzt mit äußerster Brutalität verhandeln müssen.« Seine weiteren Worte gingen im Tumult unter. Ein Vollzugsbeamter versuchte, Baader abzuführen.
»Rühr mich nicht an hier«, wehrte sich der Angeklagte.
»Abführen!« befahl der Vorsitzende.
»Das ist ein unglaublicher Akt von Unterdrückung, Herr Dr. Prinzing«, bemerkte Rechtsanwalt Heldmann.
»Ich bitte jetzt, den Angeklagten, notfalls mit Gewalt, abzuführen.«
»Ich bitte um eine Pause, ich bitte um eine Pause«, rief Otto Schily.
»Es wird keine Pause … Bitte, den Baader abzuführen.«
Erregt und lautstark redeten Verteidiger und Angeklagte durcheinander. Der Beisitzende Richter Dr. Foth hieb krachend mit der Faust auf den Tisch.
»Moment«, versuchte sich Verteidiger Schily bemerkbar zu machen. »Ich lehne namens und in Vollmacht der Angeklagten Ensslin den Beisitzenden Richter, Dr. Foth, wegen Besorgnis der Befangenheit ab.«
Rechtsanwalt Pfaff mischte sich schreiend ein: »… Verhandlungsunfähigkeit hier auf den Tisch zu legen. Jetzt liegen die Gutachten vor, und jetzt wollen Sie die Angeklagten ausschließen, weil sie verhandlungsunfähig sind. Das ist einfach ungeheuerlich.«
Auch Heldmann war aufgesprungen und rief dazwischen: »Verhandlungsunfähig hat diese Justiz sie gemacht, durch diese Haftbedingungen.«
»In den Gutachten steht das ganz klar drin«, ergänzte Verteidiger Pfaff.
»Herr Rechtsanwalt Pfaff, Herr Rechtsanwalt Pfaff«, stammelte der Vorsitzende, »Sie werden nicht verhindern können, daß wir die Entscheidung begründen, die ich im Tenor bereits bekanntgegeben habe. Sie werden nur beweisen können, daß Sie hier Manieren anwenden, die ein Verfahren, ein geordnetes Verfahren, unmöglich machen.« Seine folgenden Worte gingen im Geschrei unter.
»Was ist mit den Manieren von Herrn Dr. Foth«, schrie Otto Schily.
»Ich mache jetzt zur Beruhigung der Gemüter eine Pause.«
Aber auch nach zehn Minuten hatten sich die Gemüter nicht beruhigt. Rechtsanwalt von Plottnitz bat um das Wort, der Vorsitzende verweigerte es ihm. Die Angeklagten Meinhof und Ensslin beschimpften den Vorsitzenden: »Du Schwein … Killer.«
Prinzing wollte den Ausschluß der Angeklagten verkünden, aber Gudrun Ensslin übertönte ihn: »Ich stelle fest, daß das ein Richter ist, dessen Beschäftigung es ist, die Reihen hier zu lichten.« Der Vorsitzende forderte die Justizbeamten auf, Gudrun Ensslin aus dem Saal zu bringen. Der Angeklagte Raspe rief dazwischen und wurde umgehend vom Vorsitzenden verwarnt: »Sonst blüht Ihnen dasselbe Schicksal.«
Auch Ulrike Meinhof war aufgesprungen und rief: »Wir werden das nicht vergessen, was Sie hier abziehen. Und es wird Ihnen auch nicht gelingen, hier einen Prozeß durchzuziehen, mit falschen Zeugen, mit falschen Polizeikonstruktionen und mit dem ganzen Desaster. Und Sie werden auch nicht vermeiden, daß wir deswegen verhandlungsunfähig sind, weil wir seit dreieinhalb Jahren gefoltert werden. Das werden Sie nicht vom Tisch kriegen.«
Der Vorsitzende ließ auch Ulrike Meinhof ausschließen. Während die Justizbeamten sie abführten, schleuderte Ulrike Meinhof dem Richter an den Kopf: »Du imperialistisches Staatsschwein!«
Obwohl der Vorsitzende die Protokollführer aufforderte, Jan-Carl Raspe das Mikrophon abzuschalten, konnte er den Angeklagten nicht zum Schweigen bringen und schloß ihn ebenfalls von der Verhandlung aus. Kurz bevor die Angeklagten aus dem Saal geführt wurden, drehte sich Gudrun Ensslin noch einmal um: »Du wirst nicht vergessen, Prinzing. Dafür hast du gesorgt, für deine Zeit, die nun kommt.«
Ulrike Meinhof war plötzlich wieder ganz ruhig: »Jetzt hast du deinen Schauprozeß prima durch.«
Nachdem die Anklagebank leer war, begann Dr. Prinzing, den Gerichtsbeschluß zu verlesen: »Die Angeklagten sind verhandlungsunfähig im Sinne von Paragraph 231 a STPO . Die Vorschrift will sicherstellen, daß ein Angeklagter die Durchführung des Verfahrens nicht durch wissentlich herbeigeführte Verhandlungsunfähigkeit verhindert.«
Der Paragraph 231 a der Strafprozeßordnung war für das Stammheimer Verfahren maßgeschneidert. Nach Einführung dieses neuen Gesetzes konnte auch in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt werden, wenn diese ihre Verhandlungsunfähigkeit – zumindest nach Einschätzung des
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