Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
rechtlichen Konsequenzen klarwerden.« Nach drei Minuten schloß er die Verhandlung und lud die Beteiligten zur Fortsetzung eine Woche später.
In der Vollzugsanstalt Stammheim schrieb einer der Justizbeamten seine »Meldung« für die Anstaltsakten: » 26 . September 1975 . »Die Zelle des Obengenannten [Baader] befindet sich in den letzten Tagen in einem unbeschreiblichen Zustand. Der gesamte Fußboden ist mit Lebensmitteln und sonstigen Gegenständen belegt. Von den diensthabenden Beamten wird zunehmend festgestellt, daß die zum Teil schon verdorbenen Lebensmittel von Eintagsfliegen befallen sind. Vorhalte von den Aufsichtsbeamten werden nicht beachtet.«
Nicht zum ersten Mal war eine der Zellen im siebten Stock in heilloser Unordnung. Der Anstaltsleitung erschien dieses Problem unlösbar. Der stellvertretende Gefängnisdirektor Schreitmüller sagte später vor dem Untersuchungsausschuß des Stuttgarter Landtags, der die Zustände in Stammheim untersuchen sollte: »Man hätte natürlich die Gefangenen anweisen können, ihre Zellen aufzuräumen. Das hätten sie mit Sicherheit nicht getan. Ich hatte den Eindruck, das war ein Zeichen innerer Abneigung gegen jegliche Ordnung. Sie werden gleich fragen, ob man sie nicht hätte entsprechend disziplinieren können. Was hätte man tun können? Man kann einen Baader nicht in Arrest bringen. Da wäre der Arzt sofort eingeschritten. Man konnte ihm nicht den Fernseher wegnehmen, denn das war auch eine ärztliche Maßnahme. Man konnte ihm nicht den Umschluß sperren, denn das war auch eine ärztliche Maßnahme. Man konnte ihn nicht auf halbe Kost setzen, dann hätte auch der Arzt etwas gesagt. Man konnte praktisch mit Ordnungsmaßnahmen nicht gegen die Leute vorgehen. Nun, man hätte natürlich die Beamten anweisen können, die Zellen aufzuräumen. Aber dann hätte es geheißen, die Beamten sind vollends die Diener und die Hausknechte von diesen Leuten. Das wäre wohl auch nicht das richtige gewesen.«
Der Gefängnisarzt Dr. Henck hielt die hygienischen Zustände im siebten Stock auch aus medizinischer Sicht für untragbar. »So hält sich kein Tier auf, das hält sich wenigstens sein Nest sauber«, sagte er dem persönlichen Referenten des baden-württembergischen Justizministers. »Das oben ist kein Strafvollzug, das ist ein Pi-pa-po-Laden, ein Saftladen.« Vor allem bei Baader lagen ständig Essensreste, Asche und Zigarettenstummel auf dem Fußboden zwischen Zeitungsausschnitten, Büchern und Akten. »Alles verdreckt und verkommen«, sagte der Arzt. »Und Raspe als der Hausbursche von Baader hat manchmal ihm seine Bude da saubergemacht.«
Henck versuchte es mit gutem Zureden. »Es hatte aber keinen Sinn, ich kann Herrn Baader nicht beeinflussen, er soll seine Zelle aufräumen, damit er hygienischer lebt.«
14. Ein neues Gesetz kommt zur Anwendung
( 40 . Tag, 30 . September 1975 )
Der Vorsitzende Richter Prinzing verkündete: »Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit der Angeklagten fortgesetzt. Die Begründung: Die Angeklagten sind …« Der Vorsitzende konnte nicht weitersprechen. Erregt sprangen einige der Verteidiger auf und unterbrachen den Vorsitzenden.
Prinzing rief dazwischen: »Ich will jetzt die Entscheidung begründen. Bitte, mich nicht zu unterbrechen. Die Angeklagten sind verhandlungs …«
Der Vorsitzende kam nicht weiter.
»Ich stelle den Antrag, mir das Wort zu erteilen«, sagte Rechtsanwalt von Plottnitz.
»Ich bitte, das Wort abzustellen. Hier hat niemand das Wort. Herr Rechtsanwalt, Sie haben, Sie haben jetzt nicht das Wort.«
»Wir haben jetzt rechtliches Gehör«, sagte Rechtsanwalt Heldmann.
»Sie haben kein rechtliches Gehör, denn Sie hatten es bereits, Sie hatten es bereits.«
»Ich hatte nicht einmal die Stellungnahme gehabt, du Schwein«, schrie Baader.
Der Vorsitzende verwarnte den Angeklagten und drohte mit Ausschluß.
»Verwarn mich doch, altes Arschloch«, brüllte Baader.
Prinzing versuchte, mit der Begründung fortzufahren, aber die erregten Anwälte unterbrachen ihn erneut.
»Herr Vorsitzender, Sie wollen unsere Stellungnahmen unterdrücken, das ist der Tatbestand«, erklärte Heldmann. Die Verteidiger wurden immer lauter.
Die Angeklagten redeten miteinander, und prompt drohte der Vorsitzende mit Ausschluß. Baader beantragte eine Pause, um einen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden zu stellen. Der Richter entzog ihm das Wort und schloß Baader unmittelbar darauf von der Verhandlung aus.
»Ja, du bist doch
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