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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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praktisch nur noch einer, gegen den das ganze Verfahren gedreht und gesteuert wird, nämlich gegen Andreas. Und ganz sicher mit dem Ziel, die Ermordung von Andreas propagandistisch vorzubereiten.«
    Das Gericht entzog Ulrike Meinhof das Wort.
    Gudrun Ensslin schloß sich dem Antrag an: »Der Grund hat seine Evidenz hier unmittelbar in den leeren Stühlen vor uns.« Gudrun Ensslin deutete auf die spärlich besetzte Verteidigerbank. »Prinzing ist es gelungen, die Verteidigung zu zerschlagen. Geschafft hat er das mit zwölf Ausschlüssen, mit Ehrengerichtsverfahren, Disziplinarverfahren, Entpflichtungen. Das weiß man alles. Und worum es sich hier jetzt noch handelt, ist eine Verteidigung in der Agonie.«
    Der Vorsitzende unterbrach sie: »Sie haben jetzt nicht die Möglichkeit, Dinge aufzuwärmen, die dadurch nichts an Glaubwürdigkeit gewinnen, daß Sie sie bei jedem Anlaß hier ständig wiederholen.«
    Gudrun Ensslin fuhr fort: »Sie werden hier abgelehnt in Ihrer Funktion als Staatsschutzrichter. Als solcher haben Sie es geschafft, die Verteidigung hier in die Agonie zu treiben. Worum es sich hier noch handelt, ist eine Verteidigung, die krank ist, die unvorbereitet ist, die physisch und psychisch ruiniert ist.«
     
    Meldung Stammheim vom 6 . April 1976 :
    »Bei der heutigen Mittagessen-Ausgabe im Mehrzweckgebäude an den Untersuchungsgefangenen Baader nahm dieser den mit Reis, Soße und Schaschlik gefüllten Plastikteller von mir entgegen und warf diesen unmittelbar neben mich an die Zellenwand. Durch herumspritzende Essensreste wurden mein Diensthemd und Diensthose ziemlich stark beschmutzt.«
     
    Ab dem 20 . April 1976 sagten Zeugen zum Bombenanschlag auf das Hamburger Verlagsgebäude des Springer-Konzerns aus, bei dem Arbeiter und Angestellte zum Teil schwer verletzt worden waren.
    Die Angeklagten blieben den Vernehmungen der Bombenopfer fern.

17. »… weil du kaputt sein willst«
    Fast vier Jahre waren seit der Festnahme der Angeklagten vergangen. Vier Jahre Haft, davon drei Jahre in mehr oder weniger strenger Isolation. Dann zu viert zusammengesperrt im siebten Stock der Vollzugsanstalt Stammheim.
    Die Auseinandersetzungen in der Gruppe verschärften sich, vor allem zwischen Ulrike Meinhof und den anderen. Gefängnisbeamte hatten manchmal beobachtet, wie Andreas Baader Texte Ulrike Meinhofs zerriß und sie ihr mit dem Wort »Scheiße« zurückgab.
    Im März und April 1976 eskalierte der Konflikt mit Gudrun Ensslin. Aus einigen Zellenkassibern, die später von BKA -Beamten beschlagnahmt wurden, kann das Zerwürfnis zwischen den beiden Frauen in Bruchstücken rekonstruiert werden.
     
    In einem der Briefe beschrieb Gudrun Ensslin, wie der Streit zwischen ihr und Ulrike Meinhof ständig ablief. Es ging um die Akten des Kronzeugen Karl-Heinz Ruhland, die Ulrike Meinhof von Rechtsanwalt Ströbele anfordern sollte. Das war im März 1976 ; Ruhland hatte gerade dem »Spiegel« ein Interview gegeben.
    Gudrun Ensslin erhielt Ulrike Meinhofs Schreiben vor dem Abschicken zur Kontrolle: »Weil das Ding von Ulrike optisch einen verlotterten«, sie korrigierte sich, »kaputten Eindruck macht, tippe ich es bevor ich es rausgebe nochmal ab und lasse dabei eine Schlußfloskel weg, weil sie nicht mehr unser Verhältnis zu Ströbele ausdrücken konnte. Und streiche auch zwei oder drei dieser knieweichen, ihrer Funktion nach zeitraubenden, ihrem Charakter nach luxuriösen Füllwörter wie ›eben‹ weg. Die können auch Mittel sein: muß man nur beherrschen können, d.h., sie müssen eben Präzision vermitteln.« Ihr eigenes »eben« strich die ehemalige Germanistikstudentin wieder weg; schließlich hatte sie es eben bei Ulrike Meinhof kritisiert.
    Ohne Ulrike Meinhof den neugetippten Brief zu zeigen, schickte Gudrun Ensslin ihn ab. Sie schrieb an Baader: »Hinterher zu Ulrike, daß ich es getippt und was weggelassen habe. Warum mache ich das? Der Zweck meines Erzählens [war], Ulrike zu quälen, indem ich ihr Quälerei zurückgebe. Auge um Auge.«
    In einem weiteren Brief an Baader schrieb sie über Ulrike Meinhof: »Sie ist mißtrauisch und mehr als das: argwöhnisch. Sie bezweifelt, was ich sage bzw. antworte, weil es nicht nur gelogen sein könnte, sondern ihrer Meinung nach gelogen ist.«
    Zu den Beziehungen in der Gruppe meinte sie: »Der Mechanismus des Ganzen ist, daß dem Druck aus den Fehlern, der unbegriffenen Scheiße, die ich in den Jahren laufen gelassen habe … ich nicht gewachsen sein kann, nicht

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