Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
das Gericht die Schlußfolgerung, daß es sagt, wir brauchen uns hier über Rechtfertigungsgründe oder Entschuldigungsgründe überhaupt gar kein Kopfzerbrechen mehr zu machen. Weil ja die Gefangenen sich so bezeichnet haben, haben sie sich selbst außerhalb der Rechtsordnung gestellt, und nun sind sie eigentlich – und das ist der Kern des Beschlusses – vogelfrei. Sie sind mit diesem Beschluß vogelfrei.
Ich finde, es ist notwendig, noch einmal klar zu sagen, um was es geht: daß mittels militärischer Einrichtungen hier auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland Völkermord vollzogen worden ist. Dieser Frage werden Sie nicht ausweichen können …
Vielleicht ist es notwendig, einmal an die Bilder zu erinnern, die hier über das Fernsehen gegangen sind, von den durch Napalm verbrannten Kindern, um auch sinnlich wahrnehmbar zu haben, um was es geht.
Das sind die gleichen Bilder: das jüdische Kind im Ghetto, das mit erhobenen Händen auf SS -Leute zugeht, und die vietnamesischen Kinder, die schreiend, napalmverbrannt dem Fotografen entgegenlaufen nach den Flächenbombardements. Und um diese Frage geht die Beweisaufnahme: ob man solche Mordaktionen dulden oder verschweigen durfte oder ob es gerechtfertigt war, gegen die Mechanismen und gegen die Apparatur, mit der solche Mordaktionen durchgeführt wurden, vorzugehen. Darum geht es.«
Nach einer weiteren Unterbrechung erklärte das Gericht, auch der Zeuge Osborne würde nicht zugelassen. »Die benannten Beweisthemen sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, auch nicht zur Begründung eines Rechtfertigungsgrundes, von Belang. Der Vietnamkrieg ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.«
24. Ein Anwalt und sein Mandant – Der Kronzeuge
Unmittelbar nach der Festnahme Gerhard Müllers zusammen mit Ulrike Meinhof 1972 in Hannover hatte der Berliner Anwalt Ströbele dessen Mandat übernommen. Damals war Müller noch voll auf RAF -Kurs. Er schrieb an Ströbele: »Mein Bedürfnis nach einem Besuch von Euch ist groß. Ihr seid doch gerade ein Zeichen dafür, daß Ihr bezüglich uns die einzige menschliche Instanz seid. Eure Besuche decken doch gerade die verlogene Propaganda der herrschenden Presse auf. Wenn es Euch nicht gäbe, die Isolation wäre perfekt, die Folter vollkommen.«
Ströbele besuchte Müller häufig und erhielt von ihm zahlreiche Briefe, in denen der Gefangene detailliert die Versuche der Ermittlungsbeamten schilderte, ihn weichzuklopfen. Die Beamten des Bundeskriminalamtes stellten ihm Vergünstigungen in Aussicht, fünfzigprozentigen Straferlaß und Geld, das durch Kontakte zur Presse beschafft werden sollte. Sollte er aber nicht aussagen, würde er für lange Jahre hinter Gittern verschwinden.
Eines Tages wurden Müllers Eltern mit seinen minderjährigen Geschwistern zur Sicherungsgruppe des BKA nach Bonn-Bad Godesberg zitiert. Dort brachte man sie mit ihm in einem Raum zusammen, und Beamte redeten in Müllers Beisein auf seine Mutter ein. Ihr Sohn halte Fakten zurück, die er kenne, und richte damit Schlimmes an. Sie ließen kein gutes Haar an Gerhard Müller und schilderten seine Zukunftsaussichten so düster, daß die Mutter in Tränen ausbrach. Sie kniete vor ihrem Sohn nieder und flehte ihn an, vor den Beamten der Sicherungsgruppe Aussagen zu machen.
Zwei BKA -Beamte wechselten sich bei der Bearbeitung Müllers ab. Den einen nannte er den »Vater-Bullen«, weil er bei den Vernehmungen die väterliche Tour herauskehrte, den anderen den »Heimat-Bullen«, weil er aus Müllers Nachbarort stammte. Später erschienen auch andere Ermittlungsbeamte bei Gerhard Müller, von denen einer aus Hannover kam und ihm vorhielt, bei seiner Verhaftung eine Pistole bei sich getragen zu haben. Aus dem Versuch, die Waffe zu ziehen, könne eine Anklage wegen versuchten Mordes gegen ihn gemacht werden. Dann müsse er mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen. Wenn er aber den Ermittlungsbehörden helfe, könne man auch ihm helfen.
Nicht lange nach der Zusammenkunft mit seiner Familie bei der Sicherungsgruppe Bonn schrieb Müller an seinen Anwalt Ströbele: »Die Sonderkommission hat nichts unversucht gelassen, meine Aussageverweigerung umzukehren: Gehirnwäsche. Die Methode, mit der sie vorgehen, ist einfach und primitiv. Das hat mich doch etwas erstaunt. Sie wissen aber, daß ein Proletarier sowieso nie genügend Geld hat. Sie wissen vielleicht, daß ich jahrelang weniger als das Existenzminimum hatte, und sie wissen, daß ich meine Besucher um
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