Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
gelacht.
23. Vietnamkrieg und Widerstandsrecht
( 121 . Tag, 28 . Juni 1976 )
Die Verteidigung hatte fünf Zeugen, Amerikaner, mitgebracht, die früher für amerikanische Militärdienststellen gearbeitet hatten, inzwischen aber aus dem Staatsdienst ausgeschieden waren. Das Gericht erklärte sich zunächst bereit, die Zeugen anzuhören.
»Darf ich jetzt um die Benennung der Beweisthemen bitten«, sagte der Vorsitzende.
Rechtsanwalt Oberwinder erklärte: »Der Zeuge Winslow Peck wird insbesondere bekunden, daß das IG -Farben-Haus in Frankfurt am Main entscheidendes Zentrum für die US -Aktivitäten während des Indochinakrieges war.«
Bundesanwalt Dr. Wunder beantragte, die Vernehmung des Zeugen nicht zu gestatten: »Die Angeklagten verfolgen mit der beabsichtigten Beweisaufnahme in Wirklichkeit, nichts zur Wahrheitsfindung beizutragen. Sie streben vielmehr an, den gegen sie geführten Strafprozeß in eine Bühne agitatorischer Selbstdarstellung umzuwandeln.«
Rechtsanwalt Dr. Heldmann widersprach der Bundesanwaltschaft: »Wo die Beweiserhebung, die hier beantragt ist, ergeben wird, daß Kriegsverbrechen begangen worden sind und im Zusammenhang damit das Territorium der Bundesrepublik benutzt wurde, ist die Bundesrepublik selbst einbezogen in völkerrechtsverbrecherische Aggressionshandlungen. Das wird durchaus als Rechtsfrage für die Entscheidung in diesem Verfahren von Bedeutung: ob die Voraussetzungen vorlagen für den Gebrauch eines Nothilferechtes oder für die Anwendung eines völkerrechtlich begründeten Widerstandsrechts auf dem Boden der Bundesrepublik gegen Institutionen des Völkerrechtsaggressors.«
Der Rechtsanwalt zitierte den ehemaligen Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, der geschrieben hatte: »Das Widerstandsrecht erschöpft sich nicht im innerstaatlichen Bereich. Es überschreitet die nationalstaatlichen Grenzen. Es steht nicht nur jedermann zu, sondern kann auch zugunsten von jedermann ausgeübt werden.«
Otto Schily führte ein Beispiel an: »Stellen Sie sich einmal vor, es wäre auf eine Institution wie im Dritten Reich das Reichssicherheitshauptamt ein Bombenanschlag verübt worden. Stellen Sie sich vor, es wäre ein Prozeß geführt worden gegen einen Angeklagten, dem angelastet würde, diesen Bombenanschlag verübt zu haben. Würden Sie einem solchen Angeklagten verwehren, darüber Beweis erheben zu lassen, daß über das Reichssicherheitshauptamt die Vernichtungsaktionen, die Ausrottungspolitik gegenüber jüdischen Mitbürgern koordiniert und durchgeführt worden sind? Jedermann, der einmal Rechtskunde studiert hat, weiß, daß im Bereich eines Notwehr- oder eines Nothilferechtes ein solches Recht unter Umständen auch in Anspruch genommen werden kann, wenn die Nothilfe oder Notwehrhandlung dazu führt, daß jemand ums Leben kommt. Eine schwierige und ernste Frage.«
Rechtsanwalt Oberwinder charakterisierte den Zeugen: »Er hat als Agentenführer in Vietnam in einem Programm mitgewirkt, bei dem 20 000 Zivilisten ums Leben gekommen sind. Nicht nur durch Bomben, sondern auch sehr langsam durch Folter. Wir werden hier hören, in welchem Bezug das IG -Farben-Hochhaus zum Beispiel zu dieser Mordaktion stand.«
Das Gericht legte eine dreistündige Pause ein. Danach erklärte Dr. Prinzing: »Die Befragung des Zeugen zu den genannten Beweisthemen ist nicht zulässig.«
Der Zeuge Winslow Peck konnte wieder nach Hause fahren.
Die Verteidigung versuchte, den zweiten Zeugen, Barton Osborne, in das Verfahren einzuführen. Rechtsanwalt Oberwinder sagte, der Zeuge würde unter anderem erklären, daß der Computer des Kommandos für Logistik in Heidelberg dazu benutzt worden sei, Berechnungen zu Einsätzen für das Flächenbombardement der zivilen Bereiche in Südvietnam und für das Bombardement der Deiche des Roten Flusses in Nordvietnam zu erstellen. Ziel sei es gewesen, eine möglichst große Effektivität, das hieß eine möglichst große Zahl von Toten unter der Zivilbevölkerung, zu erreichen.
Bundesanwalt Wunder beantragte, auch diesen Zeugen abzulehnen. Dem Gericht dürfe keine unsinnige oder unverständliche Beweiserhebung aufgenötigt werden. Im Gebiet der deutschen Rechtsordnung sei es auch unter Berufung auf vermeintliche Widerstands- und Notwehrrechte nicht gestattet, »nach Gutdünken Privatkriege in eigener Regie zu führen«.
Otto Schily ergriff noch einmal das Wort:
»Aus der Tatsache, daß die Gefangenen sich als Revolutionäre bezeichnen, zieht
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