Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Geld angehauen habe. Ihr Köder ist deshalb einfach: hier kärgliches Sträflingsdasein, ein Nichts, verraten und verkauft, und da halbe Strafe und Geld.«
Wenig später schrieb Müller an Ströbele: »In Bonn hat das Bundeskriminalamt mit ›Zuckerbrot und Peitsche‹ versucht, mich zum Reden zu bringen. Die Peitsche, das waren – außer Haftschikanen – moralische Vorhaltungen, Erpressung durch Androhung von langjähriger Freiheitsstrafe und Schilderung der Strafhaft.«
Ein Beamter habe gesagt, er könne natürlich seine Geschichte an den »Spiegel« verkaufen, ein anderer ergänzte: »Dann machen Sie Geschichte.«
Ende März 1973 teilte Müller seinem Verteidiger mit: »Die Bullen-Scheiße geht anscheinend wieder los. Gegen mich würde ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes in Hannover laufen. Sie waren ziemlich hartnäckig. Ich mußte sie anbrüllen, damit sie abhauen.«
Im Januar 1974 , nach eineinhalb Jahren Haft, schrieb er: »Ich glaube, ich bin derzeit etwas kaputt. Ich brauche meine ganze Energie gegen die Front der Schweine.« Seine Widerstandskraft wurde schwächer: »Es ist bei mir fünf vor zwölf. Jedenfalls habe ich Momente, in denen es so scheint, und die Perioden dazwischen werden immer kürzer. Da anscheinend niemand begreift, was los ist, weder die Anwälte noch die gefangenen Genossen, muß ich das eben begreiflich machen.«
Über Wochen und Monate war Müller in seiner Zelle stündlich kontrolliert worden. Auch in der Nacht hatte man dazu jede Stunde das Licht angeschaltet und ihn regelmäßig aus dem Schlaf geholt. »Wenn Lichtfolter Folter ist«, schrieb er, »dann muß diese Folter jetzt Wirkung haben.«
Langsam gewöhnte sich Müller an die verschärften Haftbedingungen. Sein Gemütszustand stabilisierte sich vorübergehend. Doch dann beklagte er sich bei seinem Anwalt immer wieder über zunehmende Schikanen der Gefängnisbeamten. Das Gitter an seinem Zellenfenster wurde mit feinmaschigem Fliegendraht zusätzlich gesichert, und Müller reagierte darauf mit wütenden Ausfällen gegen die Beamten. In seinen Briefen an Ströbele beschimpfte er Richter und Wachpersonal mit so rabiaten Ausdrücken, daß sich der Anwalt derart überzogene Formulierungen verbat.
Im März 1974 war das Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant auf dem Tiefpunkt angelangt. Müller teilte Ströbele mit, er wolle ihn nicht mehr sehen, worauf der Anwalt vorschlug, das Mandat zu lösen. Doch zunächst kam es nicht dazu. Statt dessen legte Ströbele das Mandat auf Eis. Müller schrieb: »Lieber Ströbele, Du bist natürlich kein Bulle, sondern Du bist ein ganz bourgeoises Schwein. Deshalb nennen wir doch mal dieses Mandatsverhältnis nach dem, was es tatsächlich ist, eine Geschäftsbeziehung.« In einem anderen Brief meinte Müller: »Was Du bist, wissen wir doch. Du windest Dich, taktierst, kreist um den Punkt, um nur ja das zu bleiben, was Du bist, Advokat, Juso, Bourgeois, Marzipan in den toten Trakt und ein Klumpatsch von unpolitischer, dreckiger, verkümmerter, verwaschener sozialer Sensibilität.« Müller war damit durchaus auf RAF -Linie, denn auch vom Führungskader der Gruppe war Ströbele häufig scharf kritisiert worden. Seine Briefe seien zu allgemein, zeigten seinen liberalen, sozialdemokratischen Standpunkt und so weiter. Und das war noch die freundlichste Kritik.
Im Herbst 1974 brach Müller, der bis dahin immer ausdrücklich dafür eingetreten war, den Hungerstreik ab. Er teilte Ströbele mit, daß er sich von der RAF losgesagt habe, drückte dem Anwalt aber sein Vertrauen aus. Ströbele besuchte ihn auch weiterhin und beobachtete, daß sich Müller mehr und mehr in einen grenzenlosen Haß auf Andreas Baader steigerte.
Zu dieser Zeit vertrat der Anwalt auch Baader; das Verbot der Doppelverteidigung war noch nicht in Kraft. Ströbele erklärte Müller, es sei vollkommen unsinnig, sich auf diese Weise mit einem Menschen auseinanderzusetzen, zu dem man früher ganz andere Beziehungen und Kontakte gehabt habe. Dieser Haß gegen Andreas Baader trage krankhafte Züge, er solle versuchen, ein normales, möglicherweise kritisches Verhältnis zu Baader zu finden, und hier keinen Kleinkrieg beginnen. Ströbele war überrascht, denn in den zwei Jahren zuvor hatte er mit Müller kaum jemals über Baader gesprochen. Jetzt brach Müller plötzlich in seiner Zelle regelrecht zusammen, wenn die Rede auf Baader kam. Vielleicht hat er früher eine besonders positive Bindung zu Baader gehabt,
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