Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
war, hatten BKA -Beamte festgestellt, daß der angebliche Doktorand ehemaliger Gehilfe der Stuttgarter Kanzlei Croissant war, Willy Peter Stoll hieß und seit einiger Zeit im Untergrund verschwunden war.
Hanns Martin Schleyer erhielt die »Sicherheitsstufe 1 «. Fortan begleiteten ihn Beamte des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Sein Arbeitsplatz in Köln, seine Wohnung in Köln und sein Haus in Stuttgart wurden überwacht. Ein Kriminalbeamter riet Schleyer: »Schließen Sie die Tür zum Balkon, wenn Sie ins Bett gehen.« Als weitere Sicherungsmaßnahme solle er in seiner Kölner Zweitwohnung einen Weitwinkelspion in die Tür einbauen, das Schloß verstärken und einen Polizeinotruf mit drei Auslöseknöpfen installieren lassen.
Die Fahrtroute von Schleyers Büro im Wirtschaftsinstitut der Deutschen Industrie am Oberländer Ufer zu seiner Kölner Wohnung führte durch die Straße Am Raderthalgürtel. Am Nachmittag des 1 . September fiel einem Anwohner auf, daß zwei junge Frauen dort über eineinhalb Stunden lang in einem geparkten blauen Alfa Romeo saßen. Am nächsten Tag sah er die beiden Frauen wieder an derselben Stelle. Sie machten sich an dem Wagen zu schaffen. Dem Mann kam das Verhalten der beiden verdächtig vor, er rief die Polizei und gab das Kennzeichen durch. Kurze Zeit später erschienen zwei Streifenbeamte und ließen sich die Papiere der beiden Frauen geben. Wegen eines Defekts am Polizeicomputer verzichteten sie auf eine weitere Überprüfung der Personalien. Auch das Autokennzeichen ließen sie nicht überprüfen, weil sie davon ausgingen, daß ihre Kollegen in der Einsatzzentrale das bereits nach dem Telefonanruf erledigt hätten. Dort aber hatte man sich offenbar auf die Beamten im Außendienst verlassen.
Erst nach Schleyers Tod stellten die Ermittler fest, daß der blaue Alfa von einer der Schleyer-Entführerinnen, Adelheid Schulz, benutzt worden war. Das Kennzeichen war eine Doublette nach RAF -Methode.
Der 5 . September 1977 war ein Montag. Frühmorgens um 5 . 00 Uhr stand Hanns Martin Schleyer in seinem zweistöckigen Einfamilienhaus am Ginsterweg 17 in Stuttgart auf. Seine Familie schlief noch, als er eine Stunde später von seinem Fahrer im Mercedes-Dienstwagen abgeholt wurde.
Um 6 . 30 Uhr startete er im zweistrahligen Daimler-Firmenjet »Falcon« nach Köln. Dort holte ihn sein Kölner Fahrer Heinz Marcisz ab und brachte ihn zum Büro am Oberländer Ufer. Eine Tasse Kaffee, die Post, danach das »Morgengebet«, die wöchentliche Lagebesprechung mit den Fachreferenten. Um 14 . 00 Uhr Präsidiumssitzung des Arbeitgeberverbandes mit den Unternehmern von Gesamtmetall, auf der die nächste Tarifrunde besprochen wurde.
Das Stichwort hieß »Mendocino«. Die Idee stammte von Willy Peter Stoll, der den damals populären Song gern gemeinsam mit Stefan Wisniewski geträllert hatte. Am Vormittag hatte die Gruppe die Waffen präpariert, den Kinderwagen vorbereitet, die Wohnung gereinigt, letzte Sachen verschickt, abgeklärt, wie die Kommandoerklärungen verbreitet werden sollten, Telefonate nach Paris geführt. Die Infrastruktur für die »Big Raushole« stand. Gut 25 Mitglieder war die Organisation stark. Dazu kam ein Umfeld von Sympathisanten, die von Fall zu Fall herangezogen werden konnten.
Eine Person wurde in der Nähe des Gebäudes des Bundesverbands Deutscher Arbeitgeber postiert, um einem zweiten, der entlang der Strecke stand, mitzuteilen: Er fährt ab. Die zweite Person sollte das Kommando in einem Café anrufen und das Kennwort durchgeben, sobald der Wagen mit dem Arbeitgeberpräsidenten vorbeifuhr: »Mendocino«, das Signal für den Überfall.
Jedem Mitglied der Kommandogruppe war selbst überlassen worden, ob er eine schußsichere Weste tragen wollte. Boock zog sie erst an, legte sie dann im Café aber wieder ab. »Es war zu nervig. Ich war damals auch in so einer Stimmung, daß mir so was scheißegal war.« Stefan Wisniewski behielt die kugelsichere Weste an.
Eine surrealistische Szene, wie die vier im Café saßen, die Waffen gepackt, und Kaffee und Kuchen bestellten. Es war früher Nachmittag, und einige Hausfrauen und ältere Damen saßen mit ihnen an den Tischchen. Keiner war maskiert, und so sollte es auch bleiben. »Es sollte ja niemand überleben, außer Schleyer«, sagte Boock später. Einige hatten Beruhigungsmittel genommen, einer ein Aufputschmittel, einige waren müde, andere total aufgedreht. Nur ein eisernes Prinzip galt für alle: »Man ißt
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