Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
der Reporter.
»Es wird für ihn eine sehr schwere Entscheidung sein«, antwortete der Abgeordnete. »Ich bin wie die meisten von uns der Meinung, daß er sich auf keinerlei Erpressung einlassen kann.«
»Selbst wenn das bedeutet, daß Herr Schleyer getötet wird?«
»Ja, ich glaube, ein Nachgeben ist unmöglich.«
Für 23 . 30 Uhr hatte der Bundeskanzler den Großen Krisenstab einberufen. Schmidt wollte seine Entscheidungen durch die Zustimmung der Oppositionspolitiker in Bund und Ländern absichern; auch wenn ihm in dieser Runde eigentlich »viel zuviel gequasselt« wurde.
Im Großen Krisenstab waren die Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien, Brandt, Kohl und Strauß, die Fraktionsvorsitzenden Wehner und Mischnick, Genscher als Parteivorsitzender und Mitglied der Bundesregierung, Zimmermann als Vorsitzender der CSU -Landesgruppe im Bundestag. Außerdem die Regierungschefs der vier Bundesländer, in denen RAF -Häftlinge einsaßen, deren Freilassung erpreßt werden sollte: Ministerpräsident Filbinger, Baden-Württemberg, Goppel, Bayern, Kühn, Nordrhein-Westfalen, und der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Klose. Dazu die Mitglieder der »Kleinen Lage«, des engsten Beraterstabes des Bundeskanzlers, Justizminister Vogel, Staatsminister Wischnewski, Staatssekretär Schüler, Regierungssprecher Bölling. Schließlich noch BKA -Präsident Herold und Generalbundesanwalt Rebmann.
Schmidt erklärte die Lage nach der Schleyer-Entführung. Er skizzierte, was bisher veranlaßt worden war, so etwa, in der vorangegangenen »Tagesschau« melden zu lassen, der Entführerbrief sei so spät eingegangen, daß der Termin für die Veröffentlichung nicht eingehalten werden konnte. Zum Schluß faßte der Bundeskanzler die von ihm angestrebte Strategie zusammen: »Die Geisel Hanns Martin Schleyer lebend zu befreien, die Entführer zu ergreifen und vor Gericht zu stellen, die Handlungsfähigkeit des Staates und das Vertrauen in ihn nicht zu gefährden; das bedeutet auch: die Gefangenen, deren Freilassung erpreßt werden soll, nicht freizugeben.«
Die überparteiliche Runde stimmte dem Kanzler zu. Als erster Schritt sollten alle RAF -Gefangenen untereinander und nach außen hin vollkommen isoliert werden. Für eine solche »Kontaktsperre« gab es zwar keine Rechtsgrundlage. Zur Abwehr einer »gegenwärtigen Lebensgefahr« sei sie aber geboten und nach dem »Rechtsgedanken des rechtfertigenden Notstandes erlaubt«.
Von diesem Zeitpunkt an waren alle RAF -Gefangenen vollständig isoliert; sie durften auch keinen Verteidigerbesuch empfangen.
4. Eine Kommunikationsanlage
In Stammheim war am Vormittag ein Sachverständiger des Landeskriminalamts, ein Ingenieur, eingetroffen. Ihm wurden Lautsprecher, Verstärker und Plattenspieler gezeigt, die den Gefangenen am Vorabend abgenommen worden waren. Der Ingenieur Nabroth untersuchte die Geräte, entdeckte aber – angeblich – nichts Verdächtiges. Dabei konnte, wie sich nach dem Tod der Häftlinge herausstellte, schon ein Laie erkennen, daß die Verstärker erheblich manipuliert waren.
So etwa kam der Untersuchungsausschuß in Stuttgart später zu dem Ergebnis: »In geöffnetem Zustand war besonderer Sachverstand nicht erforderlich, um zu erkennen, daß die Geräte abgeändert worden waren.«
Die Geräte wiesen mehr oder weniger primitive Lötstellen auf, aus denen klar ersichtlich war, daß die Anlagen nicht nur zum Musikempfang benutzt wurden, sondern auch für die Kommunikation der Gefangenen untereinander.
Der sachverständige LKA -Ingenieur gab die Geräte frei.
Sie wurden den Gefangenen wieder in die Zellen gebracht.
Daß der Ingenieur von den Veränderungen in den Geräten nichts bemerkt haben wollte, ist rätselhaft. Rundfunkgeräte der Häftlinge wurden zum Beispiel vor der Aushändigung technisch immer so eingestellt, daß kein UKW -Empfang damit möglich war. Ein UKW -Teil im Radio ist durch kleine Veränderungen verhältnismäßig leicht in einen Sender umzubauen. Um so erstaunlicher ist, daß sich ein Ingenieur des Landeskriminalamtes die Verstärker nicht auf solche Manipulationen hin angesehen haben will oder diese nicht bemerkte. Nichts anderes, als das zu untersuchen, wäre seine Aufgabe gewesen.
Wenn aber stimmt, was der Sachverständige später selbst sagte, daß er nämlich nur
einen
Verstärker und zwei Lautsprecher ergebnislos untersucht habe, dann bleibt die Frage, warum er eigens anreiste, um nur eines von mehreren Geräten zu
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