Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Kopfhörer kann man als Mikrophon benutzen, wenn man ihn entsprechend anschließt. Energie lieferte ein dazwischengeschalteter Verstärker.
Nach dem Tod der Häftlinge fanden Ingenieure derart manipulierte Geräte in den Zellen. Sie stellten fest, daß es bei einiger Übung innerhalb von zehn bis sechzig Sekunden möglich war, mit den in den Zellen vorhandenen Materialien eine perfekte Gegensprechanlage aufzubauen. Einen anderen Schluß ließen die an Lautsprechern, Verstärkern und Leitungen vorgenommenen Veränderungen nicht zu. Der Postingenieur Otto Bohner, der die Anlage nach dem Tod der Gefangenen begutachtete, wunderte sich, daß die Manipulationen nicht vorher bemerkt worden waren, obwohl Beamte des Landeskriminalamts, darunter ein Ingenieur, die Plattenspieler, Lautsprecher und Verstärker mehrmals inspiziert hatten.
Auch der Untersuchungsausschuß des Stuttgarter Landtags kam zu dem Ergebnis: »In geöffnetem Zustand war besonderer Sachverstand nicht erforderlich, um zu erkennen, daß die Geräte abgeändert worden waren. Ein gewisser Sachverstand reichte vielmehr aus, weil die Gefangenen nicht in der Lage gewesen waren, kunstgerecht zu löten.«
Provisorisch, aber wirksam gelötet hatten sie mit ihren Elektrokochern, die man überhitzen konnte, um dann Lötzinn zu schmelzen. Reste von Lötzinn wurden gefunden.
Die lautstarken Unterhaltungen der Gefangenen durch die Türschlitze dürften nur dem Zweck gedient haben, das Aufsichtspersonal von der eigentlichen Kommunikationsanlage, deren Entdeckung sie nicht bemerkt hatten, abzulenken. Nach Installation der Dämmvorrichtungen konnten sie vollkommen ungestört nachts miteinander sprechen.
Allerdings scheint der Umkehrschluß auch nicht ganz abwegig, daß die Dämmplatten möglicherweise genau deshalb angebracht worden waren. Um die nächtlichen Gespräche von Zelle zu Zelle ohne störende Nebengeräusche abzuhören, mußte man sich lediglich an das Kommunikationssystem der Gefangenen anhängen.
Nach dem Tod der Gefangenen wurde der Anstaltselektriker Halouska von der Staatsanwaltschaft befragt:
»Haben Sie die Möglichkeit als Fachmann nicht erkannt, daß das Leitungsnetz in diesem Zustand als Nachrichtenübermittler von den BM -Häftlingen benutzt werden könnte?«
»Nein«, sagte der Elektriker.
»Müßten Sie als Inhaber des Meisterbriefes auf dem Sektor Elektrotechnik diesen Zustand nicht erkannt haben? Oder besser: Sie hätten von dieser Möglichkeit wissen müssen!«
»Es ist mir nicht bekannt, ob ich aufgrund meines Meisterbriefes davon Kenntnis haben mußte.«
5. Das Ermittlungschaos
Im Eiltempo war Herolds gesamter Stab von Wiesbaden nach Bad Godesberg umgezogen. Ein gutes halbes Dutzend engster Mitarbeiter, darunter Kriminaldirektor Steinke, richtete sich im dortigen BKA -Quartier ein. Gerhard Boedens Dienstzimmer wurde für Herold hergerichtet. Dort sollten alle Fäden zusammenlaufen, von dort sollten die Landeskriminalämter informiert und ihre Arbeit koordiniert werden. Die sonst eifersüchtig gehütete Eigenständigkeit der Länderpolizeien sollte im Fall Schleyer zumindest de facto der Oberhoheit des Bundeskriminalamtes weichen. Es rollte die größte konzertierte Fahndungsaktion in der Geschichte der Bundesrepublik an. Jeder Stein sollte umgedreht werden, um den entführten Arbeitgeberpräsidenten zu finden. Und alle Informationen sollten in Herolds Computer eingegeben werden.
Die Zentrale Einsatzleitung, ZEL 1 , unterstand Horst Herold. Er war zuständig für die Lagevorträge in den Beratungsgremien, die Kommunikation mit den Entführern sowie die Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern und den Bundesdienststellen. Darunter rangierte die ZEL 2 , geführt vom Terrorismus-Abteilungsleiter Boeden, zuständig für Tataufklärung, Fahndung und Verbindung zu den Sicherheitsdiensten des In- und Auslands. Diese Organisationseinheit hatte eine solche Fülle von Aufgaben, daß sie bereits überfordert war, bevor sie mit ihrer Arbeit begonnen hatte.
ZEL 2 sollte die Bundesalarmfahndung führen, sollte die Alibis aller verdächtigen Personen überprüfen lassen, sollte Zellendurchsuchungen bei allen Häftlingen aus dem BM -Komplex veranlassen und steuern, sollte Observationen Verdächtiger organisieren, Überprüfungsprogramme für Makler, Ärzte, Einwohnermeldeämter, Strom- und Gaskunden, Gewerbeabmeldungen, Tankstellen, Hotels, Campingplätze durchführen. Beispielsweise sollten alle Bunker im Großraum Köln durchsucht
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