Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
der Hinweise so gut wie unmöglich. Es dauerte viele Tage, bis die BKA - und LKA -Beamten in Köln die Datenerfassung einigermaßen im Griff hatten – aber da war es bereits zu spät, wie sich herausstellen sollte.
Selbst am Tage nach der Schleyer-Entführung waren die Kölner Einsatzkräfte nur unzureichend über den Sachstand informiert. »Informationsfluß vom BKA zu ihnen fehlt«, heißt es in dem internen Papier, »Unmut der Einsatzkräfte wächst.« Die Beamten seien über die entscheidenden Entwicklungen nur aus den Massenmedien unterrichtet worden, die trotz der von der Bundesregierung verhängten Nachrichtensperre offenbar immer noch mehr erfuhren als weite Teile der Polizei. Auch die technischen Voraussetzungen bei der Soko BKA in Köln seien völlig unzureichend gewesen. Es habe für Abfragen beim BKA lediglich zwei Telefonstandleitungen und nur eine Richtfunkleitung für das PIOS - System mit zwei Terminals sowie eine Fernschreibleitung zum BKA / TE nach Bad Godesberg gegeben. Bei 250 bis 600 Polizeibeamten, die ihre Ermittlungsergebnisse abgeklärt haben wollten, kam es »an diesem Nadelöhr zu einem unvertretbaren Rückstau mit Informationsverzögerungen«.
Trotz der mangelnden Infrastruktur erfanden die Kreativen beim BKA fast täglich neue Maßnahmen, mit denen sie die Einsatzkräfte überforderten. So erschien plötzlich ein Beamter des Bundesgrenzschutzes und bot hundert Funkgeräte für die Operation »Alaska 1 « an, von der noch niemand gehört hatte. Erst nach langwierigen Telefonaten stellte sich heraus, daß in den Fernmeldeämtern Polizeibeamte postiert werden sollten, um festzustellen, von welchen Telefonzellen aus Gespräche in die Schweiz geführt wurden. Mit Hilfe der Funkgeräte sollten Polizeibeamte zu den Zellen geschickt werden. Als die Kölner Kripo der Soko-Leitung mitteilte, daß sie nicht genügend Leute für diesen Einsatz zur Verfügung habe, wurden Beamte des Bundesgrenzschutzes von Wahn nach Köln transportiert. Als sie dort eintrafen, meldeten sich plötzlich hundert Beamte der Schule für Technik und Verkehr in Essen für die Aktion »Alaska«. In dem internen Polizeipapier heißt es dazu lakonisch: »Wer diese Beamten eingesetzt und nach Köln beordert hatte, ist bis heute unbekannt.«
»Alaska 1 « war genauso ein Flop wie »Alaska 2 «. Ziel der Aktion war, alle Kölner Telefonzellen unter Dauerobservation zu halten. Dazu hätten mehrere tausend Beamte eingesetzt werden müssen – der Plan wurde wegen Undurchführbarkeit aufgegeben. Man beschränkte sich statt dessen auf die Beobachtung der Telefonzellen in der Umgebung des Kölner Hauptbahnhofes, wofür etwa 600 völlig unvorbereitete Beamte des Landes nach Köln geholt wurden.
Zwischendurch hatte auch der Generalbundesanwalt einen Einfall. Im Polizeipapier heißt es: »Die Spitze allen Ideenreichtums war eine Wunschvorstellung des GBA Rebmann, ganz Köln Haus für Haus nach Dr. Schleyer zu durchsuchen. Dieser praxisfremde Plan wurde wegen Undurchführbarkeit verworfen.«
»Das Chaos der ersten Tage«, so die Polizeikritiker aus den eigenen Reihen, »wurde noch dadurch vergrößert, weil Spitzenpolitiker des Bundes und auch der GBA sich von der ersten Stunde an dazu berufen fühlten, auf die taktischen Maßnahmen der Polizei direkt oder indirekt Einfluß zu nehmen.« So habe etwa Bundesinnenminister Maihofer den Leiter der Antiterrortruppe des Bundesgrenzschutzes, GSG 9 , mit seinen Männern nach Köln befohlen. Dort aber wußte man nichts mit ihnen anzufangen und schickte sie wieder nach Hause. In einem anderen Fall habe Maihofer sich berechtigt geglaubt, der Kripo unmittelbar Einsatzanweisungen geben zu können. Umgekehrt sei später ein wichtiger Einsatz um Stunden hinausgezögert worden, weil sich BKA -Abteilungschef Boeden nicht befugt fühlte, ohne ausdrückliche Zustimmung des Großen Krisenstabes die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. »Nach dem Eindruck der Kölner Polizei«, so heißt es in dem Papier weiter, »war die Soko BKA gegenüber der polizeilichen Führung derart verunsichert, daß sie selbst bei notwendigen Sofortmaßnahmen sich der politischen Rückendeckung versichern mußte.«
Am fatalsten aber seien die undurchsichtigen Führungsverhältnisse gewesen: »Der Polizeiführer war nicht klar erkennbar.« Weisungen trafen von den unterschiedlichen Bundes- und Landesbehörden ein, die offenkundig nicht koordiniert waren. Formal war die Soko BKA zuständig, doch die war
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