Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
hoffnungslos überfordert. »Nach hiesigen Erkenntnissen hat die Soko BKA in Köln einschließlich Kraftfahrer und Hilfskräfte zu keinem Zeitpunkt mehr als 26 Bedienstete, die sich in drei Schichten teilten, betragen.« Das waren pro Schicht gerade mal zehn Beamte, die sich ausschließlich mit Büroarbeiten beschäftigten.
Kernpunkt des Problems, so die Beamten in ihrer geheimen Studie, sei die Übernahme des gesamten Komplexes »Schleyer-Entführung« durch den Generalbundesanwalt gewesen: »Hier liegt der Fehler im System.« Der Generalbundesanwalt habe das BKA mit den Ermittlungen beauftragt, und dadurch sei ein »Ermittlungsloch« entstanden. Die örtliche Polizei habe von diesem Augenblick an keine rechtliche Zuständigkeit mehr gehabt, wohl aber alle Pflichten. Wie tief das Ermittlungsloch war, stellte sich erst später heraus.
Eine eingespielte Großstadtpolizei mit ihren vielen Beamten und deren Ortskenntnis, so wird in dem Papier argumentiert, sei sehr viel eher in der Lage, einen solchen Fall wie die Schleyer-Entführung zu bearbeiten. Die BKA -Beamten mit ihrem speziellen Hintergrundwissen sollten in die örtliche Kommission als Berater integriert werden. Aber »eine Übernahme des Verfahrens durch das BKA ist nicht zu rechtfertigen«. Jede Sonderkommission habe mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen, »diese steigern sich ins Unermeßliche, wenn die Beamten aus allen Himmelsrichtungen kommen und sich zum ersten Mal sehen«.
Genau so aber war es bei der größten Fahndungsaktion der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Katastrophe war programmiert. Statt großer und kleiner Krisenstäbe, statt Kontaktsperren und Nachrichtensperren, statt einer Zentralisierung der polizeilichen Arbeit in der Schaltstelle Kanzleramt hätte die normale, schlichte Polizeiarbeit in den eingeübten Führungsstrukturen und vor Ort vermutlich effektiver gearbeitet.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 6 . September 1977 :
»Keine Vorkommnisse! Sehr ruhig.«
6. »Spindy«
(Mittwoch, 7 . September 1977 )
Morgens, pünktlich um 9 . 00 Uhr, hielt der Leiter der Schutzpolizei beim Oberkreisdirektor Bergheim eine Einsatzbesprechung mit seinen Dienststellenleitern in Hürth ab.
Schutzpolizeidirektor Biemann ordnete an, sofort nach möglichen Verstecken zu suchen. Bereits um 10 . 00 Uhr setzten die Dienststellenleiter dafür alle im Bezirk verfügbaren Beamten ein. Auch der Chef der Kripo mobilisierte alle seine Leute. Gegen 13 . 00 Uhr traf auch die entsprechende Anweisung aus Köln ein; zu diesem Zeitpunkt war die örtliche Polizei aber schon unterwegs.
Die Aufgabe war für die Beamten normale Routinearbeit. Es sollte nach verdächtigen Objekten und Personen gefahndet werden. Das Suchmuster war klar: Vor allem in Hochhauskomplexen, die eine Tiefgarage hatten und in der Nähe der Autobahn lagen, wurde nach verdächtigen Mietern gesucht.
Im Bereich Erftstadt-Liblar machte sich der zuständige Polizeibeamte Hauptmeister Ferdinand Schmitt auf den Weg zur Straße Zum Renngraben 8 . Dort klingelte er beim Hausmeister im ersten Stock. Der Mann konnte ihm nichts Verdächtiges berichten, verwies ihn aber an seine Schwiegermutter, die für die Verwaltungsgesellschaft die Mietverträge abschloß. Der ortskundige Beamte kannte die Frau und machte sich sofort auf den Weg zu ihr.
»Na ja, Herr Schmitt«, sagte sie, »hier ziehen so viele Leute ein und aus, da mache ich mir keine schriftlichen Notizen.«
»Denken Sie mal darüber nach«, antwortete der Polizist. »Der Herr Schleyer ist entführt worden, dabei sind einige Menschen ums Leben gekommen.«
Plötzlich kam der Frau ein Gedanke. »Setzen Sie sich mal hier zu mir an den Tisch.«
Der Beamte setzte sich ihr gegenüber.
»Wo Sie jetzt sitzen, hat im Juni oder Juli eine Frau mit langen dunklen Haaren gesessen. Die hat eine Wohnung im Renngraben 8 angemietet. Und nachdem ich dieser Frau erklärt habe, daß sie eine Mietvorauszahlung von 800 Mark leisten müsse, nahm sie die vor ihren Füßen stehende Tasche auf die Knie und entnahm dieser Tasche einige Bündel Fünfzig-, Hundert- und Fünfhundertmarkscheine und legte sie auf den Tisch.«
»Können Sie sich an den Namen erinnern?« fragte Schmitt.
»Nein, aber mein Schwiegersohn kennt ihn.«
»Darf ich ihn schnell anrufen?«
Als der Polizeibeamte den Hausmeister nach dem Namen fragte, sagte der: »Herr Schmitt, ich muß Sie auf das Datenschutzgesetz aufmerksam machen. Ich gebe über Mieter grundsätzlich keine
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