Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
durchs Radio. Ja, das haben sie bei Lorenz genauso gemacht, das war dasselbe Spiel … Und die Frage ist, ob wir uns darauf so rum einlassen sollen oder mit ihnen andersrum diesen eindeutigen Beweis …« Der Entführer fuhr fort: »… zum Beispiel über den Südwestfunk-Reiseruf an irgendeinen Herrn Sowieso einlassen sollen. Das wäre die eine Sache, oder ob wir’s so ändern.«
Das Gespräch wurde von den Entführern auf Tonband aufgezeichnet, das Gerät stand aber so weit entfernt, daß nur Teile des Dialoges verständlich waren. Das Band fand die Polizei 1982 in einem Erddepot bei Heusenstamm, beschriftet: »Spindy-Gespräch. Schleyers zeitweiliger Aufenthalt im »Spind« hatte die Entführer offenbar dazu angeregt, ihrem Opfer den Namen »Spindy« zu geben.
Boock erklärte den Namen anders. Die Entführer hätten Schleyer »Spindy« genannt, weil der korpulente Arbeitgeberpräsident die Form einer Spindel gehabt habe.
Am späten Nachmittag fand ein evangelischer Pfarrer in Mainz in seinem Briefkasten ein Couvert mit zwei Briefen Schleyers, einem Videoband und einem Schreiben der Entführer an die Bundesregierung. Mit müder Stimme verlas Schleyer auf dem Band einen der Briefe. Er bezog sich auf die Ankündigung der Fragen im Hörfunk: »Vielleicht genügt es, wenn ich zur Vereinfachung des Verfahrens mitteile, im Anschluß an diese Nachrichten einen Reiseruf gehört zu haben, wonach sich ein Herr Vijot aus Belgien, der in einem weißen Volvo auf dem Weg von Brüssel nach Karlsruhe ist, zu Hause melden soll.
Meine Frau wird sich an unsere Unterhaltung vom Sonntagvormittag beim Frühstück erinnern, bei der sie sehr für den Einbau von Sicherheitsmaßnahmen in unserem Stuttgarter Haus plädierte.«
In dem Brief schrieb Schleyer: »Ich bin über den bisherigen Verlauf in groben Umrissen unterrichtet und bedanke mich bei allen, die mir in meiner schwierigen Lage helfen. Ich bin überzeugt, daß sich meine Entführer an ihre Zusagen halten werden, wenngleich Verzögerungen schaden werden. Mir geht es den Umständen entsprechend gut; ich grüße vor allem meine Familie, bei der ich zuversichtlich hoffe bald wieder zu sein.«
Die Entführer verlangten in ihrem Schreiben noch einmal, die Fahndung sofort einzustellen, den Austausch der Gefangenen vorzubereiten und einen von ihnen am Abend im Fernsehen auftreten zu lassen, um den Vollzug der Vorbereitungsmaßnahmen bekanntzugeben. Außerdem solle das Videoband mit Schleyer in allen Nachrichtensendungen des Fernsehens abgespielt werden.
Auf dieses Spiel mit den Massenmedien wollte sich die Bundesregierung auf keinen Fall einlassen. Schon am Vortag war eine strikte Nachrichtensperre verhängt worden. Der Kanzler und seine engsten Berater wollten unbedingt verhindern, daß die Entführer vor aller Öffentlichkeit mit der staatlichen Autorität auf gleicher Ebene kommunizierten – so, wie es bei der Lorenz-Entführung geschehen war.
Die auf Hochtouren laufenden Fahndungsmaßnahmen wurden so verdeckt wie möglich geführt, gleichzeitig versuchte der BKA -Präsident Herold, die Entführer hinzuhalten, um Zeit für ihre Einkreisung zu gewinnen.
Um 20 . 44 Uhr fand ein Mainzer Weihbischof in seinem Briefkasten das vom BKA verlangte Tonband mit Schleyers Stimme. Eine Viertelstunde später ließ das BKA im Zweiten Deutschen Fernsehen melden: »Das Bundeskriminalamt hat die Nachricht erst vor wenigen Minuten erhalten. Eine weitere Erklärung folgt.«
Schleyer beantwortete die Fragen des BKA auf dem Band und fügte hinzu: »Dieses Lebenszeichen wird nach Auffassung meiner Bewacher das letzte vor meiner Freilassung sein; die Bewacher drängen darauf, daß jetzt eine Entscheidung der Bundesregierung fällt.«
Wieder spielte das BKA auf Zeitgewinn. Um 23 . 15 Uhr ließ es im ZDF erklären, ein Abspielen des Videobandes sei wegen der verspäteten Übermittlung derzeit noch nicht möglich. Kurz vor Mitternacht wandte sich das Bundeskriminalamt noch einmal über das Fernsehen an die Entführer und schlug die Einschaltung einer Kontaktperson vor, um »Unklarheiten durch parallel eingehende Desinformationen und hinderliche Zeitverluste zu vermeiden«.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 7 . September 1977 :
»Keine Vorkommnisse!«
7. Exotische Gedanken
(Donnerstag, 8 . September 1977 )
Am Morgen erfüllte das Bundeskriminalamt zum ersten Mal eine der Forderungen der Entführer und veröffentlichte deren zweites Schreiben, allerdings mit einer
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