Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Verzögerung von 38 Stunden.
Um 10 . 15 Uhr trat der Große Krisenstab erneut zusammen und stimmte dem Vorschlag des Regierungssprechers Klaus Bölling zu, an Presse, Rundfunk und Fernsehen die Bitte zu richten, nichts über den Inhalt des Video- und des Tonbandes zu veröffentlichen, deren Kopien die Entführer an verschiedene Medien geschickt hatten.
Auch der Deutsche Presserat appellierte am Nachmittag an die Medien, bei der Berichterstattung über die Schleyer-Entführung Zurückhaltung zu üben. Fast alle Zeitungen und Zeitschriften hielten sich in den folgenden Wochen an diese »freiwillige Selbstzensur«.
Am Mittag wandte sich das BKA noch einmal über Rundfunk an die Entführer und wiederholte den Vorschlag, eine Kontaktperson einzuschalten, da »die bisherige Kommunikation über Rundfunk und Fernsehen sich als unzweckmäßig« erwiesen habe.
Gegen 17 . 00 Uhr trat der Kleine Krisenstab wieder zusammen und tagte, mit einer kurzen Unterbrechung, bis 22 . 00 Uhr. Der BKA -Chef erklärte dem Kanzler, welche Vorteile die Einschaltung eines Mittelsmannes habe: »Erstens: Geheimhaltung des Kontakts, um die Öffentlichkeit herauszuhalten. Zweitens: Erschwerung der Kommunikation für den Gegner. Für uns ist es doch leicht, einem Vermittler Nachrichten zu überbringen. Für die Entführer ist es aber wesentlich schwerer. Drittens: Damit wachsen die Chancen, den Gegner zu erkennen. Viertens: Wir gewinnen noch mehr Zeit als bisher, um den Verwahrort von Schleyer zu finden.«
Herold erinnerte an den Namen Payot, den die Entführer in ihrem ersten Schreiben genannt hatten. Payot war nicht, wie die Entführer offenbar angenommen hatten, ein UNO -Offizieller, sondern Präsident der »Schweizerischen Liga für Menschenrechte«, Rechtsanwalt in Genf und Unterzeichner verschiedener Erklärungen zur »Isolationsfolter« der RAF -Gefangenen. Herold bekam grünes Licht, Denis Payot als Vermittler einzuschalten.
Zu vorgerückter Stunde forderte der Bundeskanzler im Krisenstab die Runde auf: »Ich bitte die Herren, doch jetzt auch einmal exotische Gedanken auszusprechen, was wir machen sollen.«
Herold hatte eine Idee: »Ich würde mich anheischig machen, daß wir die Gefangenen ausfliegen lassen, auf einen Wüstenflughafen. Da steht ›Jemen‹ dran. Wir lassen sie aussteigen und sie ihre Botschaft nach Hause schicken. Und anschließend nehmen wir sie fest.« Der BKA -Präsident hatte auch schon überlegt, wo man ein solches Täuschungsmanöver am besten inszenieren könnte: in Israel. Der Geheimdienst Mossad würde da sicher mitmachen.
Als fünfter oder sechster Redner war Generalbundesanwalt Kurt Rebmann an der Reihe. Er konstatierte einen »übergesetzlichen Notstand« und schlug vor, die Stammheimer Häftlinge einen nach dem anderen zu erschießen, so lange, bis Schleyer von den Entführern freigelassen werde. Dazu müsse lediglich das Grundgesetz geändert werden. Dies könne der Krisenstab innerhalb von Stunden leisten, weil in diesem Gremium die legislative und die exekutive Verantwortung zusammengefaßt seien. Bundeskanzler Schmidt, so ein Zeuge, habe Rebmanns Ausführungen mit eisiger Miene angehört und schnell den nächsten Redner aufgerufen. Später, nach Ende der Sitzung, habe dann einer der Teilnehmer gesagt: »Damit hätten wir uns auf das Niveau der RAF begeben.«
Der Fernsehjournalist Christoph Maria Fröhder, dem diese Geschichte Jahre später berichtet worden war, nahm ein Fernsehporträt des Generalbundesanwaltes als Gelegenheit, Rebmann danach zu befragen: »Mitarbeiter des Krisenstabes Schleyer/Mogadischu berichten, Sie hätten damals für gnadelose Härte plädiert, sogar den Vorschlag gemacht, für jede Geisel einen Gefangenen zu erschießen. War dieser Vorschlag an die damaligen Umstände gebunden oder gilt er heute noch?«
Rebmann antwortete vor laufender Kamera: »Nein, der war damals – möchte ich mal sagen – aus der Situation heraus gemacht worden. Es hat damals Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal in unserer Runde gesagt, wir sollen einfach mal Vorschläge vortragen, auch unausgegorene Vorschläge. Einfach mal unsere Phantasie walten lassen. Und dann hab ich damals diesen Vorschlag in die Diskussion gebracht, der aber natürlich nicht so ernst gemeint war, daß ich vielleicht gedacht hätte, daß der Gesetzgeber solche Dinge aufgreift. Man hätte ja dazu ganz zweifellos einer gesetzlichen Grundlage bedurft.«
In deutschen Geheimdienstkreisen dachte man zu
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