Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Objekte« wurden acht Häuser aufgeführt. An vierter Stelle stand: »erftstadt-liblar, zum renngraben, 3 . Etage, wohnung 104 , angeblich hat eine frau annerose lottmann-bueckler am 21 . 07 . 77 die wohnung bezogen. Wohnungsgesellschaft vvg als dringend beantragt. Eine kaution von 800 ,– dm wurde sofort bar bezahlt. Frau l.-b. nahm das geld aus ihrer handtasche, in der sich angeblich noch ein ganzes buendel von geldscheinen befand.«
Am selben Nachmittag erarbeitete Schutzpolizeichef Biemann mit seinen Mitarbeitern die Einsatzkonzeption für den »Exekutivschlag«, berechnete die notwendigen Polizeikräfte und Führungsmittel. Vorsichtshalber wurden schon einmal alle Maschinenpistolen und Handfunksprechgeräte aus allen Polizeistationen in Hürth zusammengetragen. Im Fernschreiben 840 vom 9 . September meldete der Schutzpolizeichef die Einsatzkonzeption, Kräfteanforderung und die benötigten Führungs- und Einsatzmittel. Es war geplant, jedes der verdächtigen Objekte von einem Einsatztrupp »überholen« zu lassen, der aus »einem ortskundigen Beamten des gehobenen Dienstes als Führer, neun Schutzpolizeibeamten und vier Kriminalbeamten mit entsprechenden Fahrzeugen, Führungs- und Einsatzmitteln« bestand. Das Stichwort für den Einsatz »Exekutivschlag« hieß jetzt »Vollkontrolle«. Dann sollten die Überprüfungen der verdächtigen Objekte schlagartig erfolgen.
Auch das Objekt Zum Renngraben 8 war eigens vom Leiter der Polizeistation Erftstadt in Zivil an Ort und Stelle zur Vorbereitung des »Exekutivschlages« erkundet worden. Er sollte den Einsatztrupp entsprechend der Konzeption führen.
Die Eilzustellung der Bundespost lieferte am Morgen im Bonner Büro der französischen Nachrichtenagentur AFP einen neuen Brief der Entführer ab. Beigefügt war ein weiteres Polaroidfoto Schleyers. Gefordert wurde eine Entscheidung der Bundesregierung bis abends, 20 . 00 Uhr. Bis zum Mittag des folgenden Tages sollte »der abflug aller gefangenen in einem vollgetankten langstreckenflugzeug der lufthansa gelaufen« sein, im Fernsehen live übertragen.
Zur Identifikation fügten die Entführer einen Satz Hanns Martin Schleyers hinzu: »welch glück, daß der spiegel, der in unserer offenbacher wohnung in das kinderbett von arndt fiel, ihn nicht erschlagen hat.« Wieder spielten Bundesregierung und BKA auf Zeitgewinn. AFP wurde aufgefordert, den Brief nicht zu veröffentlichen, ebenso die »Frankfurter Rundschau«, die eine Kopie erhalten hatte.
Die Verzögerungstaktik war weder den Entführern noch ihrer Geisel verborgen geblieben. Jede Stunde, die Horst Herold mit seinem Verwirrspiel gewann, steigerte die Gefahr für die Entführer, entdeckt zu werden. So ließen sie Hanns Martin Schleyer Briefe an alte, einflußreiche Freunde schreiben, in denen er versuchte, auf eine schnelle Entscheidung zu drängen.
Am Nachmittag wurde beim Pförtner der Friedrich Flick AG in Düsseldorf ein Brief an den geschäftsführenden Gesellschafter Eberhard von Brauchitsch hinterlegt.
»Es gibt mich also noch«, schrieb Hanns Martin Schleyer, »aber ich wüßte gern mehr über die Entscheidung der Bundesregierung, die ja wohl allein die Fäden in der Hand hält, aber Nachrichtensperre verhängt hat. Die Forderung nach einem Vermittler ist barer Unsinn, weil sich meine Entführer nicht decouvrieren und unseren ›Urlaubsort‹ auch gegenüber einem ›Vermittler‹ nicht preisgeben werden, so daß ein Dreiecks-Kontakt unmöglich ist. Die Ungewißheit ist in meiner Lage natürlich scheußlich. Wenn Bonn ablehnt, dann sollen sie es bald tun, obwohl der Mensch, ›wie es auch im Kriege war‹, gerne überleben möchte …«
Auch im Büro von Schleyers Sohn ging an diesem Tag ein Brief ein, den Hanns-Eberhard Schleyer aber erst am folgenden Montag auf seinem Schreibtisch vorfand.
»Das Ziel der Entführer wird sie bei Ablehnung der Forderungen und nach meiner Liquidierung nur veranlassen, das nächste Opfer zu holen«, schrieb Schleyer an seinen Sohn. »Es gibt, wie man gesehen hat, keinen absoluten Schutz, wenn man so sorgfältig und konsequent arbeitet wie die RAF … Man muß also nüchtern Bilanz ziehen und in die Abwägung alle kommenden Entführungsfälle mit dann tödlichem Ausgang (bei heute und später unveränderten Forderungen) einbeziehen. Das sollte Helmut Schmidt ebenso wissen wie Helmut Kohl und H. D. Genscher. Mein Fall ist nur eine Phase dieser Auseinandersetzung, als deren Gewinner
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