Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
sie wünsche den BKA -Beamten Klaus zu sehen. Umgehend machte der sich wieder auf den Weg nach Stammheim. Am Nachmittag traf er die Gefangene, wiederum in der Besucherzelle des siebten Stocks. Gudrun Ensslin hatte Notizen mitgebracht und verlangte, daß der ebenfalls anwesende Vollzugsbeamte Bubeck mitschreibe, was sie zu sagen habe:
»Wenn diese Bestialität hier, die ja auch mit Schleyers Tod nicht beendet sein wird, andauert und die Repressalien im sechsten Jahr der Untersuchungshaft und Isolation – und da geht es um Stunden, Tage, daß heißt nicht mal eine Woche –, dann werden wir, die Gefangenen in Stammheim, Schmidt die Entscheidung aus der Hand nehmen, indem wir entscheiden, und zwar wie es jetzt noch möglich ist, die Entscheidung über uns.«
Gudrun Ensslin hatte so schnell gesprochen, daß Horst Bubeck Mühe hatte mitzuschreiben. Schon nach dem ersten Absatz war für den BKA -Mann Klaus unmißverständlich klar, daß Gudrun Ensslin mit Selbstmord drohte, wenn die Bundesregierung nicht auf die Forderungen einginge. Er erinnerte sich an Gudrun Ensslins Kassiber an ihre Mitgefangenen drei Jahre zuvor, während des großen Hungerstreiks: »Hab’ den Einfall … wie wir den Hungerstreik anders machen können … jede Woche (oder egal 2 – 4 ) wird sich einer von uns töten …«
Gudrun Ensslin diktierte hastig weiter: »Das ist eine Tatsache, die die Regierung angeht, weil sie verantwortlich ist für die Tatsachen, die sie begründen – die fünfeinhalb Jahre Folter und Mord, den Schauprozeß, die totale elektronische Überwachung, die Tortur durch Drogen und Isolation –, dieses ganze jämmerliche Ritual, um unseren Willen und Bewußtsein zu brechen, verantwortlich auch für den Exzeß dieser unmenschlichen Konzeption seit sechs Wochen: die perfekte soziale und Geräuschisolation und die Masse der Schikanen und Quälereien, die uns fertigmachen sollen. Es kann keine Drohung sein – sie wäre paradox, aber ich denke, die Konsequenz bedeutet zwangsläufig Eskalation und damit das Wofür in der Bundesrepublik Deutschland, wenn man den Begriff perfekt verwendet, von dem bisher nicht die Rede sein konnte – Terrorismus. Es bedeutet auch, das heißt, das ist die Prämisse der Entscheidung – daß, was immer die Regierung entscheiden kann, für uns gar nicht mehr die Bedeutung hat, von der sie ausgeht.«
Dann skizzierte Gudrun Ensslin die Alternative, offenkundig bemüht, in der festgefahrenen Frontstellung zwischen Bundesregierung und Schleyer-Entführern selbst die Initiative zu ergreifen. Wenn die Gefangenen ausgetauscht würden und die Sicherheit hätten, daß die Bundesregierung nicht versuchte, sie vom Zielland wieder ausliefern zu lassen, würde Hanns Martin Schleyer auf freien Fuß gesetzt.
Das hätte für die Regierung noch einen weiteren Vorteil: »Die Regierung kann davon ausgehen, daß wir, das heißt die Gruppe, um deren Befreiung es geht, nicht in die Bundesrepublik zurückkommen – weder legal noch illegal.«
Damit nahm Gudrun Ensslin den Vorschlag wieder auf, den Andreas Baader dem BKA -Beamten Klaus schon am 13 . September gemacht hatte.
»Der sicherste Weg für ›Leib und Leben‹ Schleyers«, diktierte sie weiter, sei es, die Haftbefehle aufzuheben und eine Aufenthaltsgenehmigung im Zielland zu beschaffen. Über die Frage, ob die Gefangenen von der Bundesregierung Geld annehmen würden, wie es die Schleyer-Entführer verlangt hatten, würden die elf Gefangenen gemeinsam entscheiden.
Als Gudrun Ensslin mit ihrem Text fertig war, fragte der BKA -Beamte sie: »Welcher Art ist die Entscheidung, die Sie dem Kanzler abnehmen wollen?«
»Das geht ja wohl aus der Erklärung unmißverständlich hervor«, antwortete sie. Klaus erkundigte sich, ob sie von dem gestrigen Gespräch mit Baader erfahren habe.
»Ja«, sagte Gudrun Ensslin. Sie wirkte ruhig und gefaßt.
Nach dem Treffen erfuhr Alfred Klaus vom Gefängnispersonal, daß die Isolierung der Gefangenen im siebten Stock keineswegs vollständig war. Sie könnten etwa aus den unter ihnen liegenden Zellen Radiosendungen durch die geöffneten Fenster mithören. Tagsüber sei es möglich, durch die Zellentüren hindurch miteinander zu sprechen, weil die Schaumstoffdämmplatten nur während der Nacht vor die Türen gestellt würden.
Auch Jan-Carl Raspe wollte an diesem Nachmittag mit dem BKA -Beamten sprechen. Um 15 . 15 Uhr wurde er in die Besucherzelle geführt, wo Klaus auf ihn wartete.
»Ich will an meine Warnung
Weitere Kostenlose Bücher