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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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vom 27 . September erinnern«, sagte Raspe. »Die politische Katastrophe sind die toten Gefangenen und nicht die befreiten. Das geht die Bundesregierung insofern an, als sie für die jetzigen Haftbedingungen verantwortlich ist, die darauf abzielen, die Gefangenen als verschiebbare Figuren zu behandeln. Die Gefangenen werden der Bundesregierung, wenn dort keine fällt, die Entscheidung abnehmen.«
    »Wollen Sie sich selbst töten, so wie es Ulrike Meinhof getan hat?« fragte Alfred Klaus.
    »Ich weiß nicht«, sagte Raspe. Er dachte einen Augenblick nach: »Es gibt ja auch das Mittel des Hungerstreiks und des Durststreiks. Nach sieben Tagen Durststreik ist der Tod unausweichlich. Da nützen auch keine medizinischen Mätzchen mehr.«
    Klaus meinte: »Ein lebendiger Hund ist immer noch besser als ein toter Löwe. Ein Wort aus dem Buch ›Prediger Salomon‹.«
    Jan-Carl Raspe erwähnte noch einmal die Haftbedingungen im siebten Stock. Damit war das offizielle Gespräch beendet.
    »Jetzt rede ich als reiner Privatmann zu Ihnen«, sagte Klaus, als Raspe sich erhob. »Es ist sicher eine historische Tat, wenn die Gefangenen sich dazu durchringen, Leben zu erhalten und nicht zu zerstören.«
    Raspe antwortete etwas Unverständliches und verließ abrupt den Raum.
     
    Wenige Minuten später wurde Irmgard Möller ins Besuchszimmer geführt.
    »Ich stelle nur fest, daß wir entschlossen sind, die Barbarei dieser Maßnahmen gegen uns, von denen gesagt wird, sie gingen bis hin zu der erbärmlichen schallschluckenden Isolation, mit der unsere Zellen abgedichtet sind, auf die Initiative des Krisenstabes zurück, nicht länger zu ertragen.« Wie Gudrun Ensslin hatte auch Irmgard Möller ihre Erklärung schriftlich vorbereitet. Sie schilderte die Isolation der letzten fünf Jahre, davon drei Jahre allein und zwei Jahre in einer Kleingruppe. »Seit sechs Wochen durch ein perfektes soziales und akustisches Vakuum, in dem Menschen nicht überleben können.«
    Zum Schluß sagte sie: »Gleichzeitig ist die Kalorienzufuhr auf die Hälfte herabgesetzt worden. Die Essenausgabe wird so arrangiert, daß wir nur die Wahl haben, entweder zu hungern oder das Anstaltsessen, dem mit absoluter Sicherheit nach den Feststellungen der Gefangenen im siebten Stock Drogen zugesetzt werden, anzunehmen.«
    Zum geforderten Austausch der Gefangenen gegen Schleyer äußerte sich Irmgard Möller nicht.
     
    Alfred Klaus erinnerte sich, nach den Gesprächen sofort seinen Präsidenten Horst Herold angerufen und von den Selbstmorddrohungen der Gefangenen unterrichtet zu haben. Herold bestreitet hingegen, jemals etwas von Suizidgedanken der Stammheimer Häftlinge erfahren zu haben. Am Abend notierte Klaus in einem Aktenvermerk: »Nach den Umständen ist anzunehmen, daß die Selbsttötung gemeint ist … Hinsichtlich ihrer eigenen Person [Ensslin] ist die Ernsthaftigkeit dieser Ankündigung nicht auszuschließen. Bei den Mitgefangenen ist die Realisierung weniger wahrscheinlich – zumal als Alternative zur Freilassung.«
    Auch der Anstaltsleiter Nusser, von seinem Beamten Bubeck informiert, nahm die Selbstmorddrohungen der Gefangenen durchaus ernst. An das Justizministerium in Stuttgart ließ er am nächsten Tag ein Schreiben überbringen: »Eilt sehr, durch Sonderboten, sofort vorlegen.«
    Er schrieb: »Die Erklärungen der Gefangenen können als Androhung von Hunger- und Durststreik, aber auch als Selbstmord-Drohung ausgelegt werden. Für den letzteren Fall ist darauf hinzuweisen, daß eine wirksame Selbstmord-Verhinderung der völlig isolierten Gefangenen nicht möglich ist. Nächtliche Kontrollen wären allenfalls wirkungsvoll, wenn sie lückenlos wären, was ständiges Öffnen mindestens der Essensklappen und damit einerseits das Ermöglichen ungehinderter Kontaktaufnahmen sowie ständige Beleuchtung der Zellen und Beobachtung der Gefangenen, damit praktisch die Verhinderung jeden Schlafs und somit andererseits eine unerträgliche Verschärfung der Situation voraussetzen würde.«
    Getan wurde nichts.
     
    Nachtdienstmeldung Stammheim, 9 . Oktober:
    » 10 . 30 Uhr Nachtdienstkontrolle durch H. Spitzer.
    Um 10 . 00 Uhr Hustensaft, Optipyrin und Dolviran durch Sani an Baader ausgegeben.
    11 . 00 Uhr Raspe erhält seine Medikamente (Hustensaft, Schlaftabletten).«

38. »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!«
    (Montag/Dienstag, 10 ./ 11 . Oktober 1977 )
    Auch der Anstaltsarzt Dr. Henck stieß in Gesprächen mit den Gefangenen immer wieder auf ihre

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