Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Selbsttötungsgedanken. Bei einer Visite sprach Baader von einem »kollektiven Selbstmord«. Gudrun Ensslin äußerte sich ganz ähnlich, meinte dann aber: »Selbstmord ist hier ja wohl nicht drin.« Henck wunderte sich, daß beide trotz Kontaktsperre »mit fotografischer Wiedergabe« die gleichen Worte benutzt hatten.
Er wurde seine »unterschwelligen Befürchtungen« nicht mehr los, wie er später im Untersuchungsausschuß berichtete. Auch das Wachpersonal merkte, daß die Gefangenen immer nervöser und aggressiver wurden. Am 13 . Oktober informierte der Anstaltsarzt den Gefangenenbeirat über die Lage im siebten Stock. Zufällig traf er dort Anstaltsleiter Nusser, der entsetzt ausrief: »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!«
Nach der Untersuchungshaftvollzugsordnung sind »besondere Sicherheitsmaßnahmen« zulässig, wenn sich aus dem seelischen Zustand von Gefangenen die Gefahr eines Selbstmords schließen läßt. Zusammenlegen durfte man die Gefangenen im siebten Stock nicht – das war durch die Kontaktsperre verboten. Die Verlegung in eine Beruhigungszelle wiederum hielt der Anstaltsarzt für eine den psychischen Druck noch verschlimmernde Maßnahme. Henck schlug vor, Baader nach Bruchsal, Ensslin nach München und Raspe nach Freiburg umzuquartieren. Doch das erschien zu aufwendig.
Der Anstaltsleiter schrieb einen Brief an das Justizministerium und schilderte die Vor- und Nachteile jeder Möglichkeit. Er selbst wisse »nichts Vertretbares« anzuwenden. Daraufhin ließ der baden-württembergische Justizminister Bender ausrichten, er möge doch »alles Vertretbare tun«, um Selbstmorde zu verhindern. Das wiederum fand der Anstaltsleiter »nicht übermäßig hilfreich«.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 10 . Oktober:
» 22 . 00 Uhr Baader und Raspe bekommen Medikamente durch Sani ausgehändigt. Sonst keine Vorkommnisse.«
Nachtdienstmeldung, 11 . Oktober:
» 20 . 10 Uhr Baader verlangt seine Medikamente. Vom Sani ausgehändigt.
23 . 00 Uhr bekam Raspe ebenfalls seine Medikamente vom Sani.
3 . 25 Uhr Baader verlangt ein Optipyrin – ausgehändigt.«
39. Gudrun Ensslin will einen Politiker sprechen
(Mittwoch, 12 . Oktober 1977 )
Morgens gegen 10 . 00 Uhr sagte Gudrun Ensslin einem Vollzugsbeamten, sie wünsche den Staatssekretär Manfred Schüler zu sprechen: »Ich nehme an, daß er bei den Entscheidungsabläufen eine maßgebliche Rolle spielt.« Schüler war Chef des Bundeskanzleramtes und verantwortlich für die Koordination der Geheimdienste.
Gegen Mittag sagte sie: »Wenn der Staatssekretär verhindert ist, kann ich auch ein Gespräch mit Staatsminister Wischnewski führen.«
Am Nachmittag erklärte ihr Amtsinspektor Horst Bubeck, der BKA -Beamte Klaus würde demnächst wieder nach Stammheim kommen. »Ich will keinen Polizisten, sondern einen Politiker sprechen«, sagte Gudrun Ensslin.
Gegen 19 . 00 Uhr erhielt Alfred Klaus den Auftrag, nach Stammheim zu fahren und mit der Gefangenen zu sprechen. Im Dienstwagen machte er sich auf den Weg.
Nachtdienstmeldung, 12 . Oktober:
» 23 . 05 Uhr Baader bekam Medikamente durch Sani ausgehändigt. Keine Vorkommnisse.«
40. Ein Lufthansa-Flugzeug wird entführt
(Donnerstag, 13 . Oktober 1977 )
Um 9 . 00 Uhr morgens wurde Gudrun Ensslin ins Besucherzimmer geführt, wo ihr Alfred Klaus eine Erklärung vorlas:
»Es wird gebeten, der Gefangenen Ensslin mitzuteilen, daß Staatssekretär Schüler es nicht grundsätzlich ablehnt, mit ihr zu sprechen. Ein solches Gespräch wäre jedoch nur sinnvoll, wenn die Gefangene vorher den Gesprächsgegenstand mitteilt und dieser über den Inhalt des mit Herrn Klaus geführten Gesprächs vom 9 . Oktober hinaus geht.«
Schweigend hatte Gudrun Ensslin den Text mitgeschrieben. Sie dachte einen Moment nach und sagte dann: »Das heißt doch nichts anderes, als daß Schüler mich gar nicht sprechen will.« Sie blickte den BKA -Beamten an. »Ihr Chef hat, wie ich sehe, in Bonn ja nun wohl die Entscheidungsgewalt in der Hand.«
»Wie kommen Sie zu diesem Schluß?« fragte Klaus.
»Es gibt gar keinen anderen Gesprächsgegenstand.«
»Ich könnte mir durchaus Alternativen vorstellen«, sagte der BKA -Beamte. »Ich bin allerdings nicht ermächtigt, diese mit Ihnen zu erörtern.«
»Die zwei Möglichkeiten, die es gibt, sind in der Erklärung vom 9 . Oktober, soweit überhaupt etwas gesagt werden kann, vollständig erfaßt«, entgegnete die Gefangene.
»Sie sollten mir eine unmißverständliche
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