Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
verlangte vom Tower noch einmal, die Maschine aufzutanken. Sonst werde er den Flugkapitän erschießen. Die »Landshut« wurde mit Sprit versorgt.
Währenddessen begann Ulrich Wegener das Training auf einem Luftwaffenflugplatz, drei Kilometer vom Tower entfernt. Dort stand eine Boeing 737 der Gulf Air. 20 Beduinensoldaten mit ihren englischen Ausbildern ließen sich vom GSG -Chef im Kapern eines Flugzeuges ausbilden. Stundenlang übten sie unter Wegeners Kommando. Es klappte überraschend gut. »Das ist zwar noch kein perfektes Team«, sagte Wegener den britischen Offizieren, »aber es könnte gehen.«
Kurz vor Mittag deutscher Zeit meldete sich Mahmud wieder über Funk im Tower. Die Maschine werde jetzt starten. Wenn nicht sofort alle Vorbereitungen für einen Abflug getroffen würden, sähe er sich gezwungen, alle fünf Minuten einen Passagier zu erschießen. Diana Müll sollte die erste sein: »Der hat mir die Pistole an die Schläfe gesetzt und hat dann von zehn runtergezählt. Erst hab ich überlegt, dem Mahmud ins Gesicht zu gucken und daß er sieht, wie ich sterbe. Aber dann hab ich gedacht, nein, das kann es nicht sein. Also das letzte, was du siehst, ist dieses, dieses häßliche Gesicht, dieses brutale Gesicht. Nein, hab ich gedacht, das will ich nicht. Dann hab ich nach draußen in die Sonne geguckt und, ja, und dann war er bei eins. Und dann hat der Tower geschrien: Wir tanken auf.«
Das Stromaggregat wurde abgekoppelt. Um 15 . 19 Uhr Ortszeit war die »Landshut« wieder in der Luft.
Mahmud gab dem Copiloten genaue Anweisungen: »Jetzt machst du eine Linksdrehung und fliegst nach Oman.« Vietor konnte erkennen, daß der Entführer von einem Zettel ablas, auf dem die gesamte Flugroute vorgegeben war. Die überlebende »Landshut«-Entführerin Suhaila Andrawes später: »Wir glaubten, daß alle unsere Forderungen erfüllt würden, daß die politische Situation für uns günstig sei. Es hieß, wir sollten bis Aden fliegen, dort würde die Operation enden, und wir sollten uns in die Hände der jemenitischen Behörden begeben.«
Auch Peter-Jürgen Boock wußte, daß Abu Hani den Entführern genaue Instruktionen gegeben hatte: »In Aden hätte eigentlich das erste Kommando seine Aufgabe erledigt gehabt und wäre von Bord gegangen und ersetzt worden durch ein größeres, schwerer bewaffnetes Kommando, das dann die Geiseln übernommen hätte. Des weiteren war geplant, daß das neue Kommando mit den Geiseln von Bord geht und sozusagen irgendwo in der jemenitischen Wüste verschwindet, nicht mehr greifbar ist – als zusätzlichen Druck, als neues Bedrohungspotential.«
Die Maschine nahm Kurs auf die zum Sultanat Oman gehörende Insel Massira, die aber für eine Landung gesperrt wurde. Dann flog die Boeing Aden an.
Nach einer Dreiviertelstunde Flugzeit gab Mahmud über das Bordmikrophon durch: »Wir erwarten bei unserer Landung eine Schießerei. Es werden Soldaten dasein. Wir werden Sie jetzt fesseln. Beachten Sie bitte, daß es nur zu Ihrer eigenen Sicherheit ist.«
Die Frauen im Flugzeug mußten ihre Strumpfhosen ausziehen. Nacheinander ließ Mahmud die Männer auf den Gang treten. Eine der Entführerinnen bedrohte sie mit entsicherter Pistole. Die andere fesselte ihnen mit den zerschnittenen Strumpfhosen die Handgelenke auf dem Rücken und verknotete sie so fest, daß die Hände anschwollen und blauschwarz wurden. Einer der Männer fragte »Martyr Mahmud«, ob die Fesselung nicht gelockert werden könnte. Mahmud willigte ein und befahl den beiden Frauen, die Fesseln zu lockern. Wortlos machten sie sich an die Arbeit.
Mahmud ging ins Cockpit zurück. Der zweite Mann, »der Hübsche«, wie ihn die Stewardessen in ihren Gesprächen untereinander nannten, befestigte an den Kabinenwänden vor der ersten Economy-Reihe Plastiksprengstoff, drückte Zünder in die Masse und zog die Zündkabel in die erste Klasse.
Flugkapitän Schumann nahm Kontakt zum Flughafen Aden auf. »Sie können nicht landen. Der Flughafen ist gesperrt«, teilte ihm der Fluglotse im Tower mit.
»Dies ist ein Notfall. Wir haben keinen Sprit mehr. Wir müssen sofort runter, wenn wir den Flugplatz erreichen. Bitte holen Sie jemanden Offizielles. Wir haben 91 Menschen an Bord. Wir stürzen ab, wenn wir nicht sofort Landeerlaubnis erhalten.« Schumann versuchte es mit Betteln, im Befehlston, er schrie.
Nach ein paar Minuten meldete sich eine andere Stimme vom Tower: »Tut uns leid, die Landebahn ist blockiert. Es gibt für Sie keine
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