Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Motorengeräusch eines Autos zu hören. Schumann tauchte aus der Dunkelheit auf. Mahmud befahl, die hintere Treppe herunterzulassen. Flugkapitän Schumann kam die Treppe herauf. Gabi Dillmann drehte sich zu ihm um: »Da hab ich seinen Blick gesehen, und dann wußte ich, er weiß es auch.«
Schumann ging durch den Gang in die erste Klasse auf Mahmud zu.
»Runter, auf die Knie!« schrie der Chef der Entführer.
Schumann gehorchte. Er hatte die Hände über dem Kopf gefaltet.
Mahmud setzte einen Fuß auf einen leeren Sitz und rief: »Dies ist ein Revolutionstribunal. Du hast alle hier der Gefahr ausgesetzt, in die Luft gesprengt zu werden. Du hast mich bereits einmal verraten. Dieses zweite Mal verzeihe ich dir nicht. Bist du schuldig oder nicht schuldig?«
Jürgen Schumann antwortete mit leiser, ruhiger Stimme: »Captain, es gab Schwierigkeiten, zum Flugzeug zurückzukommen.«
Mahmud schlug ihm mit der linken Hand ins Gesicht. »Schuldig oder nicht schuldig?« schrie er.
»Sir, lassen Sie mich erklären, ich konnte nicht zur Maschine zurück.«
Mahmud schlug so hart zu, daß der Kopf des Piloten zur Seite flog. Dann drückte er ab. Schumann fiel zu Boden. Er war tot.
Stewardeß Gabi Dillmann war nahe am Zusammenbruch: »Das war so fürchterlich, er wurde wirklich vorn in der Kabine, vorne neben den Kindern erschossen. Und das war wirklich schon schlimm. Obwohl ich glaube, er wußte nicht, daß es eine Hinrichtung war. Er hatte wahnsinnige Angst, das sah man ihm an, als er reinkam. Ich habe mich dann versteckt, ich habe mir eine Decke über den Kopf gezogen und habe dann gedacht: Ich bin jetzt gar nicht hier, ich bin überhaupt nicht hier. Und nachdem er dann erschossen worden war, habe ich angefangen zu heulen, weil alle ruhig waren. Es hieß, wenn einer weint oder wenn einer schreit oder wenn irgendwas ist, wird er sofort erschossen. Und jetzt hatte er ja seine Leiche. Es war schrecklich, dass
er
das war, aber man selbst war es nicht. Er hatte jetzt seine Leiche, die er schon die ganze Zeit haben wollte. Eine zum Vorzeigen: Schaut, wir meinen es ernst.«
Um 16 . 21 Uhr deutscher Zeit startete in Dubai das Flugzeug mit Staatsminister Wischnewski an Bord.
Der südjemenitische Luftraum war gesperrt. Die Boeing 707 landete im saudiarabischen Djidda.
Am späten Abend versuchte Hanns-Eberhard Schleyer über Payot in Genf, unmittelbaren Kontakt zu den Entführern seines Vaters aufzunehmen. »Mir war durch das Verhalten der Bundesregierung deren ablehnende Haltung klargeworden«, sagte er in seiner späteren Vernehmung durch Beamte des BKA .
Die Kontaktaufnahme gelang ihm nicht.
Nachtdienstmeldung Stammheim, 16 . Oktober:
»Baader bekam gegen 21 . 30 Uhr eine Spritze.
Zelle 714 mußte geöffnet werden.
23 . 00 Uhr Medikamente an Baader und Raspe ausgehändigt.«
44. Feuerzauber
(Montag, 17 . Oktober 1977 )
Kurz nach Tagesanbruch war die »Landshut« in Aden aufgetankt worden. Um 2 . 02 Uhr deutscher Zeit startete die Maschine. Die Leiche des erschossenen Flugkapitäns Jürgen Schumann war von den Entführern aufrecht stehend im hinteren Garderobenschrank des Flugzeugs verstaut worden. Mit Lavex-Tüchern wischten sie das Blut ab. Mit einer Kehrschaufel kratzten sie Gehirnmasse, die auf dem Teppich im Gang lag, zusammen und warfen sie vor dem Start aus dem geöffneten Cockpitfenster.
Jürgen Vietor saß am Ruder. Die »Landshut« nahm Kurs auf Mogadischu.
Zweieinhalb Stunden später, um 4 . 34 Uhr deutscher Zeit, setzte Copilot Vietor die Maschine auf der Landebahn im Flughafen der somalischen Hauptstadt auf: »Die wußten von gar nichts. Wir kamen aus heiterem Himmel da runter, über den Platz geflogen, eine Kurve nach links gemacht und sind da gelandet.«
Eine Stunde später informierte die dortige Regierung die deutsche Botschaft. Die Entführer stellten ein Ultimatum: Freilassung der Gefangenen in Deutschland bis 15 . 00 Uhr.
Gabriele von Lutzau: »Als wir in Mogadischu gelandet sind, sagte dann Jürgen Vietor: ›Jetzt fliegen wir nicht mehr weiter. Das war es. Jetzt ist die Maschine nicht mehr dazu in der Lage.‹ Und eigentlich waren wir froh. Weil, ich hatte das Gefühl, wir fliegen immer vor was weg. Was ja nun stimmte, wir flogen vor der GSG 9 weg. Aber das habe ich ja nicht gewußt. Aber ich hatte immer das Gefühl, wir fliegen vor einer Entscheidung weg.«
Inzwischen war eine zweite Einheit der GSG 9 von Bonn aus gestartet. Oberst Wegener: »Ich war heilfroh, als wir die
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