Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
die Maschine und ließ sich über die Standleitung an Bord mit Bundeskanzler Helmut Schmidt verbinden. »Melde, daß wir fertig sind zum Einsatz.«
»Ja«, erwiderte der Kanzler, »ich gebe Ihnen jetzt den Befehl, den Einsatz durchzuführen.«
Wegener sagte: »Herr Bundeskanzler, ich muß Sie auf eines aufmerksam machen. Selbstverständlich werden wir unser Bestes tun, und der Einsatz wird ein Erfolg. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Nur eines kann ich Ihnen nicht garantieren: daß wir sämtliche Geiseln unverletzt aus der Maschine kriegen.«
Wegener vergaß nie, was Bundeskanzler Schmidt daraufhin sagte: »Herr Wegener, so was kann man nie garantieren, ich weiß, daß Sie Ihr Bestes geben werden, genauso wie Ihre Leute. Grüßen Sie Ihre Männer.«
45. Spätdienst im Hochsicherheitstrakt
(Montag/Dienstag, 17 ./ 18 . Oktober 1977 )
Kurz vor 22 . 00 Uhr hatte sich Jan-Carl Raspe über die in allen Zellen installierte Rufanlage in der Wachtmeisterkabine gemeldet und um Toilettenpapier gebeten. Der diensthabende Justizassistent Rudolf Springer versprach ihm, die Rolle bei der Medikamentenausgabe mitbringen zu lassen. Raspe war einverstanden.
Um 23 . 00 Uhr kamen die Vollzugsbeamten Zecha und Andersson, die im Zellenbau I Nachtdienst hatten, zusammen mit dem Sanitäter Kölz in das siebte Obergeschoß. Als Springer ihnen die Gittertür zum Hochsicherheitstrakt aufschloß, wurde unten in der Torwache automatisch Alarm ausgelöst. Der Beamte hatte die Wache zuvor davon verständigt, daß die Medikamentenausgabe bevorstand.
Auf einem Monitor, der mit der Video-Alarmanlage im siebten Stock gekoppelt war, konnte der Wachhabende unten sehen, daß die Beamtengruppe, zu der auch noch die weibliche Bedienstete Frede gestoßen war, den Flur vor den Zellen betrat. Währenddessen blinkte in der Torwache das Alarmsignal weiter, ertönte der Alarmgong in regelmäßigen Abständen.
Der Wachhabende konnte den Gong abstellen, etwa wenn er telefonierte. War die Bewegung im Trakt vorüber, wurde die Alarmanlage automatisch wieder scharf und schlug an, wenn sich in dem von den Videokameras beobachteten Raum erneut etwas bewegte.
Springer hatte indessen die schallschluckenden Spanplatten von den Zellentüren gewuchtet, dann öffnete er an Raspes Tür die Essensklappe, die nach außen hin wie ein Tablett waagerecht stehenblieb. Der Gefangene hatte die Tür von innen mit einem rotbraunen Tuch verhängt. Raspe nahm den Kleiderbügel mit dem Stoff von der Türöffnung und hängte ihn an die daneben stehende Stellwand. Die meisten Gefangenen im siebten Stock hatten eine solche »spanische Wand« in der Anstaltswerkstatt anfertigen lassen, um durch die Essensklappe nicht ständig beobachtet werden zu können.
Rudolf Springer legte die Klosettpapierrolle auf die Essensklappe. Raspe trat heran und verlangte seine Medikamente, Paracodin-Hustensaft und ein Schmerzmittel, Dolviran-Tabletten oder Optipyrin-Zäpfchen.
Der Sanitäter gab ihm die gewünschten Medikamente.
Raspe sagte: »Danke schön.« So freundlich und höflich hatten die Beamten ihn selten erlebt, wenn er sich auch – im Gegensatz zu Baader – mit Beschimpfungen immer zurückgehalten hatte.
Die Essensklappe wurde wieder geschlossen.
Baader hatte seine Tür nicht verhängt. Nachdem die Beamten die Klappe geöffnet hatten, sahen sie ihn auf dem Zellenboden vor einem Teller sitzen, auf dem vier halbe Eierschalen lagen. Kauend stand Baader auf, wischte sich den Mund ab und trat vor die Türöffnung. Er verlangte eine Tablette Dolviran oder ein Optipyrin-Zäpfchen, ging in die Zelle, ließ einen Becher voll Wasser laufen und kam wieder an die Tür. Der Sanitäter legte ihm eine Adalin-Tablette in die Hand. Baader schluckte sie und trank Wasser nach.
Er kam den Beamten ausgeglichen wie selten vor.
Die Essensklappe wurde wieder geschlossen, und die Dämmplatten wurden vor die Türen gestellt. Dann verließen die fünf Beamten den Trakt. Justizassistent Springer schloß die Gittertür ab und ging zurück in die Waschkabine außerhalb des Hochsicherheitstraktes. Von dort aus konnte er über Monitore den Flur und die Zellentüren überwachen.
Die übrigen Beamten nahmen wieder ihren Dienst im Zellenbau I auf. Nur die Beamtin Frede blieb im siebten Stock. Sie ging in ihr Dienstzimmer und legte sich dort gegen 0 . 30 Uhr schlafen.
Rudolf Springer hatte in seiner Glaskabine ein Radio. Um 0 . 38 Uhr meldeten der Deutschlandfunk und kurz darauf alle Sender des
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