Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
hatten. Einige meldeten sich zu Wort. Aber Brigitte Mohnhaupt wehrte ab: »Da gibt es jetzt keine Debatten drüber. Darüber rede ich nicht mit euch. Das geht euch nichts an. Ich kann euch nur sagen, daß es so war. Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nicht waren.«
Damit war das Thema erledigt. Und die Legende vom Mord in Stammheim geboren; außerhalb der Gruppe, nicht in ihrem inneren Kreis. Später gaben mehrere RAF -Mitglieder zu Protokoll, sie hätten an diesem Tag von Brigitte Mohnhaupt erfahren, daß die Gefangenen in Stammheim Selbstmord begangen hatten. So erklärte Monika Helbing der Bundesanwaltschaft: »Kurz nach den Meldungen über die Todesfälle in Stammheim und den Tod Dr. Schleyers hatten wir, Elisabeth von Dyck, Friederike Krabbe und ich, die erste Begegnung mit Brigitte Mohnhaupt in unserem großen Haus in Bagdad. Sie machte sich Vorwürfe, daß es nicht gelungen war, die Gefangenen zu befreien. Sie erklärte bei diesem Gespräch, daß die Gefangenen in Stammheim keinen anderen Weg sahen, als sich selbst umzubringen, und zwar nicht aus Verzweiflung, sondern um die Politik der RAF voranzutreiben. Der Tod der Gefangenen wurde von Brigitte Mohnhaupt als eine ›Suicide Action‹ interpretiert, mit der diese Gefangenen die Ziele der RAF durch ihren eigenen Tod vorantreiben wollten.« Aufgrund dieses Gespräches habe in ihrer Dreiergruppe nie mehr der Eindruck bestanden, die Gefangenen könnten getötet worden sein.
Auch Susanne Albrecht gab zu Protokoll, was ihr Brigitte Mohnhaupt noch vor der »Nacht von Stammheim« verraten hatte: »Aus den Gesprächen der Mohnhaupt habe ich entnommen, daß die Stammheimer Gefangenen vorhatten, Selbstmord zu begehen, wenn die Freipressungsaktion nicht klappt. Es sollte dann aber so aussehen, als habe der Staat die Gefangenen ermordet.«
Noch lebte Schleyer. In der Gruppe war klar, daß diejenigen über sein weiteres Schicksal zu entscheiden hatten, die vor Ort für seine Bewachung zuständig waren.
Schockiert vom Tod der Stammheimer Gefangenen, entsetzt über Brigitte Mohnhaupts Enthüllungen, ließ die Gruppe der Spannung der vergangenen Wochen freien Lauf. Schon bei der Entführung der »Landshut« hatten einige Skrupel bekommen, Bedenken, die sie bei der Aktion gegen den Arbeitgeberpräsidenten nicht gehabt hatten. Etwa die Hälfte der in Bagdad versammelten Truppe war mit dem gesamten Vorgehen nicht mehr einverstanden, und ein noch größerer Teil war dagegen, daß Schleyer erschossen werden sollte. Einige waren der Auffassung, daß man ihn noch länger gefangenhalten sollte. Nach Abklingen des Jubels über die gelungene Befreiung der Geiseln in Mogadischu, so meinten sie, könnte Schmidt sich nicht länger an der Macht halten, wenn es der Gruppe gelänge, Schleyer noch weiter in ihrer Gewalt zu behalten. Andere waren der Ansicht, man solle Schleyer jetzt einfach gehen lassen, damit er selbst »mit seinen Gegnern aufräumt«. Er hatte seinen Bewachern gesagt, daß er ihnen zwar keine Informationen geben würde, nach seiner Freilassung aber »einiges tun« werde.
In der momentanen Situation hatten es die Hardliner in der Gruppe schwerer als sonst. Früher hatten sie jeden Zweifel mit der Frage erstickt: »Willst du die Befreiung der Gefangenen, oder willst du sie nicht?« Damit konnten sie nun nicht mehr kommen, und so regte sich Widerstand gegen die Führung der Gruppe. Es sei in erster Linie die Schuld von Brigitte Mohnhaupt und Peter-Jürgen Boock, daß die Gefangenen jetzt tot seien. Schließlich hätten die beiden die Waffen in die Anstalt schmuggeln lassen. Außerdem hätten die Stammheimer deutlich und früh genug klargestellt, daß sie nicht durch eine Flugzeugentführung befreit werden wollten.
Aggressiv beharkten sich die Wortführer, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Die Hardliner hatten den Kritikern nicht viel entgegenzusetzen. »Ich denke«, so Boock, »daß ihnen selbst nicht klar war, wie es nun weitergehen könnte.« So blieb ihnen nur die Standardfrage: »Seid ihr noch RAF , oder seid ihr es nicht?« Es war immer dasselbe: »Schwein oder nicht Schwein, Problem oder Lösung, Bulle oder Kämpfer.« Die tödliche Alternative, die einem Denk- und Diskussionsverbot gleichkam.
»Auch dann, wenn wir Fehler gemacht haben«, sagte einer aus der Hardliner-Fraktion, »jetzt ist nicht die Phase, wo man an die Substanz der Gruppe gehen kann. Jetzt geht es darum, gerade integrativ die Durststrecke zu überstehen, und wenn ihr jetzt so kommt,
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