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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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Bewußtsein, es ist alles sehr schnell gegangen.
    Mein letzter sinnlicher Eindruck, an den ich mich erinnere, war ein sehr starkes Rauschen im Kopf. Ich hatte keine Person gesehen und keine Zellenöffnung bemerkt.
    Ich bin dann erst auf dem Flur auf einer Bahre aufgewacht, als zusammengekrümmtes, wimmerndes Häufchen, furchtbar frierend, voll von Blut, und habe Stimmen – befriedigt, gehässig – gehört: Baader und Ensslin sind kalt.«
    Dem Staatsanwalt erklärte Irmgard Möller: »Ich habe weder einen Selbstmordversuch begangen noch intendiert, noch war eine Absprache dagewesen.«
    In der Eckzelle 619 , ein Stockwerk unter Baader, lagen in jener Nacht fünf Häftlinge. Keiner hatte einen Schuß gehört.
    In der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung sagte einer von ihnen: »Ich habe in dieser Nacht keine Schüsse gehört. Ich bin um 23 . 00 Uhr eingeschlafen. Dann habe ich fest bis zum anderen Morgen um 6 . 30 Uhr durchgeschlafen.«
    Werner W. sagte: »Zwischen 2 . 00 Uhr und 2 . 30 Uhr hörte ich deutlich, daß Baader in seiner Zelle in unregelmäßigen Zeitabständen zwei- bis dreimal die Wasserspülung betätigte. Davor habe ich noch ab und zu Schritte wahrgenommen. Bis zum Morgen ist mir dann nichts mehr aufgefallen … Deshalb bin ich davon überzeugt, daß in der Zelle von Baader kein Schuß gefallen ist. Wenn aus einer Zelle Schritte, das Rücken eines Stuhles und das Rauschen der Wasserspülung auszumachen sind, müßte meiner festen Überzeugung nach auch ein Schuß zu hören sein.«
    Keiner von den 128 vernommenen Stammheimer Häftlingen hatte in dieser Nacht ein Geräusch gehört, das mit den Todesfällen im siebten Stock in Verbindung zu bringen war.
    Und doch fielen in dieser Nacht im siebten Stock der Vollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim vier Schüsse.
    Der damalige Anstaltsleiter Nusser war fassungslos: »Es war die absolute Katastrophe. Da gehen einem die wirrsten Vorstellungen durch den Kopf. Man kann sich’s zunächst natürlich gar nicht vorstellen: Waffen, wie kann das passieren, wie kann das sein, wieso haben die Waffen?«
    Der LKA -Beamte Joseph Kögel, der am Tatort die Ermittlungen leitete: »Ich hab da weder eine Befriedigung noch sonst was empfunden. Die waren eben tot, damit waren drei Leute aus der RAF weniger am Leben. Aber daß noch genügend in Freiheit waren, über die haben wir uns eigentlich mehr Gedanken gemacht als über die drei Toten.«

48. Leichenschau
    (Dienstag, 18 . Oktober 1977 )
    Bei der Frühstücksausgabe kurz vor 8 . 00 Uhr wurden die Stammheimer Gefangenen gefunden: Jan-Carl Raspe lebte noch. Er starb im Krankenhaus. Andreas Baader und Gudrun Ensslin waren tot. Irmgard Möller wurde ins Krankenhaus gebracht und operiert.
    Um 8 . 18 Uhr traf die Mordkommission in Stuttgart-Stammheim ein. Eine halbe Stunde später folgten Beamte des Landeskriminalamts. Um 9 . 00 Uhr ließ Kriminalrat Müller die Zellen öffnen, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Er ordnete an, daß bis zum Abschluß der gerichtsmedizinischen Untersuchungen niemand die Zellen betreten dürfte. Lediglich von den Türen aus wurden einige Polaroidfotos gemacht.
     
    Über die Deutsche Welle hatte die Hauptgruppe der RAF , die sich immer noch in Bagdad aufhielt, die Nachricht vom Sturm auf die »Landshut«, von der Befreiung der Geiseln in Mogadischu und dem Tod der Stammheimer Gefangenen erfahren. Sie war in dem von den Palästinensern zur Verfügung gestellten Haus zusammengetroffen. »Die Leute saßen da wie betäubt«, erinnerte sich Peter-Jürgen Boock, »einige haben geweint. Die anderen gaben dem Staat die Schuld … nun haben die Schweine das wahr gemacht und sie umgebracht …« Doch dann ergriff Brigitte Mohnhaupt das Wort, außer Boock die einzige, die wußte, wie die Waffen nach Stammheim gekommen und wofür sie gedacht gewesen waren. Boock hatte den Eindruck, Brigitte könne das Lamentieren nicht mehr ertragen. Energisch und aggressiv habe sie gesagt: »Ihr könnt euch wohl nur vorstellen, daß die Opfer gewesen sind. Ihr habt die Leute nie gekannt. Sie sind keine Opfer, und sie sind es nie gewesen. Zum Opfer wird man nicht gemacht, sondern zum Opfer muß man sich selber machen. Sie haben ihre Situation bis zum letzten Augenblick selbst bestimmt. Ja, was heißt denn das? Ja, das heißt, daß sie das gemacht haben, und nicht, daß es mit ihnen gemacht worden ist.«
    Eisiges Schweigen. Alle waren wie vor den Kopf geschlagen, niemand wollte glauben, was sie da gerade gehört

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