Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
dann stellt ihr damit den gesamten Zusammenhalt der Gruppe in Frage. Und dann seid ihr nicht mehr RAF .«
So wurden die Abweichler aus der Gruppe »herausgeredet«, wie Peter-Jürgen Boock es später formulierte. Doch selbst ein Ausscheiden aus der RAF konnte nur zu den Bedingungen der linientreuen Hardliner erfolgen: »Das ist klipp und klar gesagt worden, und den meisten, die dort versammelt waren, war klar, daß sie aus Bagdad nicht wegkommen würden, solange sie sich dem nicht unterordneten.«
Da half es auch nicht, daß etwa Monika Helbing, die unter dem Namen Lottmann-Bücklers das erste Schleyer-Versteck gemietet hatte, in Tränen ausbrach. Sie hatte den Vergleich mit faschistoiden Verhaltensweisen gewagt: »Wir sind durch die Kette der 77 er-Aktionen auf einen Stand gekommen, den wir vorher vorgegeben haben zu bekämpfen.« Daraufhin fielen die anderen über sie her. Bis sie sich nicht mehr wehren konnte und wollte. »Dann schmeißt mich doch raus«, schluchzte sie. »Dann ist mir das auch recht. Mit einer Gruppe, die so vorgeht, will ich auch nichts mehr zu tun haben.« Das wiederum bestätigte die Hardliner in ihrem Urteil: »Wir haben ja gleich gesagt, die ist nicht auf Linie. Die will eigentlich gar nicht richtig.« Damit war das Thema erledigt.
Monika Helbing war vor allem darüber erschüttert, wie die Gruppe mit dem Selbstmord der Stammheimer umging. »Ich war damals sehr erschrocken über diese Art der Politik, die von Mitgliedern der RAF betrieben wurde und bei der bewußt mit Unwahrheiten gearbeitet wurde, um damit politische Ideen durchzusetzen«, sagte sie später den Vernehmungsbeamten. »Ich meine, daß diesbezüglich der Ausdruck Lüge zutreffender ist als der Ausdruck Unwahrheit. In diesem Zusammenhang fällt mir nämlich der Ausdruck ›politische Lüge‹ ein, den ich im Jahre 1989 in einem engen Zusammenhang mit dem Thema Stalinismus erlebt habe.«
Monika Helbing wußte, wovon sie redete, gehörte sie doch zu denjenigen, die sich nach ihrem Ausscheiden aus der RAF in die DDR abgesetzt hatten. »Aus meiner Sicht«, so erklärte sie weiter, »war diese Lüge über die angeblichen Morde in Stammheim allein durch den Selbstzweck begründet, die Politik der RAF fortsetzen zu können und in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu machen.« Dadurch habe die Gruppe geglaubt, ihre weiteren Aktionen legitimieren zu können. »Insbesondere wollte man mit der Behauptung der Morde den Eindruck der Reaktion eines faschistischen Staates erwecken. Die Behauptung, bei der BRD handele es sich um einen faschistischen Staat, wurde von der Gruppe ja von Anfang an aufgestellt. Diese Behauptung war also letztlich die oder eine Legitimation für die Aktivitäten der Gruppe. Mit dieser Behauptung wurden auch immer neue Leute rekrutiert, die für die Gruppe oder innerhalb der Gruppe tätig wurden.«
Das ganze Konstrukt des »faschistischen Staates« sei immer wieder an den Haftbedingungen der »politischen Gefangenen« festgemacht worden. Die Selbstmordaktion in Stammheim habe ihr erhebliche Probleme gemacht. Als dann die Gruppenmitglieder Willy Peter Stoll und Michael Knoll ums Leben kamen, trennte sie sich ganz von der RAF . Den Tod Schleyers hatte sie noch akzeptiert: »Ich habe damals keinen Widerspruch zu meiner Einstellung hinsichtlich der gesamten Aktion gesehen. Ich habe damals nicht gedacht, die hätten ihn auch freilassen können. Natürlich hätte ich auch respektiert, wenn Dr. Schleyer freigelassen worden wäre.« Dies habe aber nicht in ihrer Macht gestanden, sondern sei von denjenigen zu entscheiden gewesen, die in der Gruppe das Sagen gehabt hätten: Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann, Stefan Wisniewski, Peter-Jürgen Boock und – mit Abstrichen – Rolf Clemens Wagner.
Um 9 . 06 Uhr erhielt Bundeskanzler Helmut Schmidt die Nachricht vom Tod der Häftlinge in Stammheim: »Ich war wie von einer Keule getroffen, empört, entsetzt. Jetzt hatten wir gerade einen großen Erfolg errungen, und nun dieser Tritt in den Unterleib. Wir waren völlig von den Socken. Nach Mitternacht war ja kein großer Jubel gewesen, mehr ein tiefes Durchatmen. Die Spannung hatte sich auf verschiedenste Weise entladen, bei so manchen mit ein paar Tränen – und sieben Stunden später nun das.«
Dem Kanzler war klar, daß die Ereignisse in der Justizfestung Stammheim vor allem im Ausland zu Verdächtigungen führen müßten. Bundesjustizminister Vogel schlug vor, internationale Gutachter zur Obduktion der toten
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