Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Häftlinge einzuladen. Das Stuttgarter Justizministerium stimmte zu. Es dauerte jedoch mehr als einen halben Tag, bis die Gerichtsmediziner aus dem Ausland eingetroffen waren: Professor Wilhelm Holczabek von der Universität Wien, Professor Hans-Peter Hartmann von der Universität Zürich und Professor Armand André von der Universität Lüttich. So konnte mit der Leichenschau erst am Nachmittag begonnen werden – zu spät, um einen exakten Todeszeitpunkt zu ermitteln. Die deutschen Gutachter, Professor Joachim Rauschke und Professor Hans-Joachim Mallach, standen seit 9 . 30 Uhr vor den Zellen und führten teilweise erregte Debatten mit Polizei- und Justizbeamten – ohne Erfolg. Sie durften nicht zu den Toten.
Gegen 16 . 00 Uhr waren alle versammelt; neben den Gerichtsmedizinern und zwei Staatsanwälten auch die ehemaligen Verteidiger der Toten, Otto Schily, Dr. Hans Heinz Heldmann und Karl-Heinz Weidenhammer. Nacheinander wurden die Zellen besichtigt, zuerst die von Irmgard Möller und Jan-Carl Raspe, dann die von Andreas Baader und Gudrun Ensslin.
Die deutschen Gerichtsmediziner diktierten für das Protokoll: »Die Leiche von Andreas Baader liegt fast in der Raummitte, etwa in der Mitte zwischen Liege und Bücherregalen … In den Kopfhaaren der Mittelliniengegend zeigen sich zwei Lochdefekte der Kopfschwarte, einer im unteren Hinterhauptbereich und der andere hinter der Stirn-Haar-Grenze …«
In Gudrun Ensslins Zelle gaben die Gutachter zu Protokoll: »Die Leiche hängt gradlinig nach unten. Beide Arme hängen schlaff neben den Hüften und Oberschenkeln. Der Kopf ist nach vorne geneigt und leicht nach links verkantet. Am Hals besteht eine tiefe Einschnürung …«
Gegen 20 . 15 Uhr war die Leichenschau beendet.
Die Toten wurden zum Bergfriedhof nach Tübingen gebracht und dort obduziert. Wieder waren die ausländischen Gutachter und die Rechtsanwälte dabei.
Professor Mallach und seine Assistenten sezierten die Leichen, während sein Stuttgarter Kollege Rauschke die Ergebnisse auf Band diktierte. Die ausländischen Mediziner sahen zu, gaben Ratschläge und diskutierten den Befund. Nur selten stellten die Verteidiger eine Frage. Sie konnten kaum verstehen, was Rauschke ins Mikrophon murmelte, und folgten der französischen Übersetzung für den Belgier André.
Das vorläufige Sektionsprotokoll wurde von den verantwortlichen Gutachtern Rauschke und Mallach unterzeichnet. Ihre ausländischen Kollegen erhielten später eine Kopie, die sie nicht unterschreiben mußten. Alle fünf Gutachter hatten sich aber schon in Tübingen geeinigt, was sie der Presse mitteilen wollten: »Die bisherigen Feststellungen bei allen drei Toten sprechen nicht gegen Selbstmord, sondern lassen sich alle durch Selbstmord erklären.«
Der Gutachter Professor Rauschke später vor dem Stammheimer Untersuchungsausschuß: »Alle Befunde sprachen für eine Selbstbeibringung. Es sind keine Befunde festgestellt worden, die der vermuteten Selbstbeibringung widersprechen. Man könnte einen Suizid nur vortäuschen und den gleichen Befund erzielen, wie sie in der Zelle und später bei der Obduktion festgestellt worden sind, indem man … indem ein Fremder die Waffe in der gleichen Weise an den Schädel hält, wie sie gehalten worden sein muß. Wobei die Waffenmündung die Kopfschwarte durch Druck, in Form eines Drucks, berühren müßte, und zugleich müßte dann der oder die Angreifer die rechte Hand dessen, der den Schuß empfängt, so an die Waffe legen, daß Blutspritzer und Pulverschmauch entstehen können. Dies wäre eigentlich nur denkbar, wenn es sich um einen wehrlosen Menschen handelt, der nicht bei Bewußtsein ist. Doch würde man dazu pharmakologische Wirksubstanzen in einer Menge anwenden müssen, die sich in den Leichenorganen mühelos nachweisen lassen. Soweit ich von meinem Fachkollegen, Herrn Professor Mallach, weiß, sind diese Untersuchungen durchgeführt worden, ohne daß irgendwelche Substanzen dieser Art nachweisbar gewesen sind.«
Auch bei Gudrun Ensslin deutete alles auf Selbstmord hin. Gutachter Rauschke: »Und wenn man auch hier alle Befunde gemeinsam berücksichtigt, dann war die vorgefundene Erhängungssituation mühelos von eigener Hand erreichbar. Frage, ob eine Fremderhängung gleichwohl als möglich bezeichnet werden müßte. Nun, das wäre nur denkbar, wenn das Opfer von mehreren Personen – ein einzelner würde dies nicht vollbringen können, die in diesem Falle gefundene Erhängungssituation
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