Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Brandstiftung im allgemeinen spricht, daß dabei Menschen gefährdet werden könnten, die nicht gefährdet werden sollen.
Gegen Warenhausbrandstiftung im besonderen spricht, daß dieser Angriff auf die kapitalistische Konsumwelt – und als solchen wollten ihn wohl die im Frankfurter Warenhausbrandprozeß Angeklagten verstanden wissen – eben diese Konsumwelt nicht aus den Angeln hebt. Den Schaden – sprich Profit – zahlt die Versicherung …
So gesehen ist Warenhausbrandstiftung keine antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend, konterrevolutionär.
Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch …«
Am 31 . Oktober 1968 wurde das Urteil gegen die vier verkündet: je drei Jahre Zuchthaus, mehr, als die meisten Prozeßbeobachter erwartet hatten. Der Vorsitzende meinte, die Angeklagten seien keine wirklichen Überzeugungstäter, sonst hätten sie nicht sieben Monate gebraucht, um sich zu ihrer Tat zu bekennen.
Die Urteilsverkündung ging in Tumulten unter. Der Studentenführer Daniel Cohn-Bendit brüllte: »Die gehören zu uns.« Baader und Söhnlein sprangen über die Barriere und liefen im Zickzack durch den Gerichtssaal. Es kam zu Gerangel zwischen Zuschauern und Gerichtspersonal. Draußen flogen Rauchbomben, eine Studentin wurde bewußtlos ins Freie getragen.
18. Eine ganz heilige Selbstverwirklichung
Nach der Urteilsverkündung interviewte ein Fernsehreporter Vater Ensslin. »Verurteilen Sie Ihre Tochter?« fragte er.
»Die Brandlegung verurteilen wir«, antwortete der Pfarrer. »Wir sind dankbar, daß Gudrun während der Verhandlung selbst Abstand genommen hat von der Brandlegung als Mittel, sich Gehör zu verschaffen.« Seit sich seine Tochter in Untersuchungshaft befinde, habe er begonnen, sich in ihre politische Gedankenwelt zu vertiefen. »Gudrun ist von Anfang an ein Mädchen gewesen, das sehr selbständig seinen Weg gegangen ist. Als Eltern konnte man Freude daran haben. Sie war begabt und ein fleißiges Menschenkind.«
»Wie war Ihr Verhältnis zu ihr vor der Tat, und wie ist es jetzt?«
»In Berlin hat sie einen Lebensstil entwickelt, der für unsere ältere Generation nicht mehr verständlich war. Mit dieser Brandlegung wollte sie wohl den Standpunkt linksgerichteter Studenten in dieser Gesellschaft aufzeigen. Es ist ihnen die Stelle als Taugenichtse, als Möchtegern-Kriminelle, als Vaterlandsverräter angewiesen worden. Und sie wollten wohl sagen: Seht, da stehen wir, dorthin habt ihr uns gebracht, das ist der Ort, an den ihr uns gestellt habt.«
»Als Vater von Gudrun gehören Sie ja zu der Generation, die sie mit ihrer Tat mahnen wollte. Sehen Sie denn die Begründung dafür ein?«
»Also, ich würde mich – mit der ganzen Bundesrepublik – weigern, mich auf diese Weise mahnen zu lassen. Was sie sagen wollte, ist doch dies: Eine Generation, die am eigenen Volk und im Namen des Volkes erlebt hat, wie Konzentrationslager gebaut wurden, Judenhaß, Völkermord, darf die Restauration nicht zulassen. Darf nicht zulassen, daß die Hoffnungen auf einen Neuanfang, Reformation, Neugeburt verschlissen werden. Das sind junge Menschen, die nicht gewillt sind, diese Frustration dauernd zu schlucken und dadurch korrumpiert zu werden. Für mich ist erstaunlich gewesen, daß Gudrun, die immer sehr rational und klug überlegt hat, fast den Zustand einer euphorischen Selbstverwirklichung erlebte, einer ganz heiligen Selbstverwirklichung, so wie geredet wird vom heiligen Menschentum. Das ist für mich das größere Fanal als die Brandlegung selbst, daß ein Menschenkind, um zu einer Selbstverwirklichung zu kommen, über solche Taten hinweggeht.«
Die Tat als Mittel zur Selbstbefreiung und »ganz heiligen Selbstverwirklichung«. Auch Gudrun Ensslins Mutter hatte das nachempfinden können, als sie sich in der Untersuchungshaftanstalt mit ihrer Tochter über die Brandstiftung unterhielt.
»Ich spüre, daß sie mit ihrer Tat auch etwas Freies bewirkt hat, sogar in der Familie«, sagte Mutter Ensslin dem Reporter. »Plötzlich, seit ich sie vor zwei Tagen in der Haft gesehen habe, bin ich selbst befreit von einer Enge und auch Angst, die – vielleicht zu Recht oder Unrecht – mein Leben hatte. Vielleicht auch kirchliche Konvention. Das alles hat Gudrun immer sprengen wollen, und ich habe es verhindern wollen. Daß es Menschen gibt, die weitergetrieben werden, aus der Konvention
Weitere Kostenlose Bücher