Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
sich auf keinen Fall mehr in eine Gesellschaft einzuordnen, die auf Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Unterdrückung beruhe.
Die Richter seien vermutlich nicht in der Lage, diese Gedankengänge nachzuvollziehen, »sonst müßten Sie Ihre Roben ausziehen und sich an die Spitze der Protestbewegung setzen«. Zum Schluß bat der Verteidiger um ein mildes Urteil. »Das Zuchthaus ist nicht der richtige Aufenthalt für diese Angeklagten. Wenn sie trotzdem ins Zuchthaus geschickt werden, so könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß in dieser Gesellschaft das Zuchthaus der einzige Aufenthaltsort für einen anständigen Menschen ist.«
Ursprünglich schwebte dem Anwalt Mahler eine eher literarische Verteidigung Andreas Baaders vor. Im Aktenbestand des Sozialistischen Anwaltskollektivs Berlin fand sich später ein mehrseitiger »Vermerk fürs Plädoyer im Brandstifterprozeß«. Danach hatte er zunächst erwogen, im Gerichtssaal eine längere Passage aus Hermann Hesses »Steppenwolf« verlesen zu lassen, weil sie eine »verschlüsselte Darstellung des sozialen Gehaltes der Tat der Angeklagten« enthalte.
In seiner Notiz faßte Mahler den Inhalt des damaligen Kultromans der links-alternativen Szene zusammen und identifizierte dabei Baader mit der Hauptgestalt: »Der Held und Ich-Erzähler, unbestimmter sozialer Herkunft, Prof. oder Schriftsteller, lebt als Fremder in gutbürgerlicher Umgebung … Er wird allmählich immer lebloser, erstarrter, zu Menschen und Dingen beziehungsloser. Seine bürgerliche Umgebung erlebt er … als die Wirklichkeit des Todes, als die Vergewaltigung des menschlichen Traums. Er läuft in seiner Welt herum, einsam, erkaltend, verzweifelt, als Steppenwolf. Da begegnet ihm Hermine, ein bisexuelles Wesen. Sie macht ihn mit ihren Freunden bekannt. Er erlebt die Gegenwelt, die antibürgerliche Subkultur … Allmählich läßt sein Krampf nach. Er wird wieder lebendig … er hat jetzt die Kraft, seinen Traum von Leben gegen die entfremdete Umwelt durchzusetzen … Das Leben gegen die Zerstörungsmacht dieser Welt zu behaupten kann nur heißen, das System der Zerstörungsmaschinen zu zerstören, und so gesellt sich zu ihm der Theologe, dem Theologie dieser Welt Tat bedeutet …«
Mahler schilderte den Höhepunkt des Romans, auf dem in einer surrealistischen Ballnacht eine Jagd auf Automobile eröffnet wird: »Wie Wild werden sie abgeschossen und verenden mit ihren Insassen … Töten in diesem Kampf macht einen gewissen Spaß, wenn auch aus Verzweiflung … Das Wissen, daß ihr Tun keinen realen Erfolgswert hat. Die anderen sind stärker … Aber sie wissen auch, daß sie keine Wahl haben … Vor allem, man muß handeln … Und am Ende steht dann doch die Schuld. Allerdings eine Schuld, die auf die Welt zurückfällt. Sie haben um der Menschlichkeit willen Menschen getötet.«
Kaum jemals hat ein Mitglied der RAF die Psychopathologie der Gruppe so genau gekennzeichnet wie Horst Mahler in seinem nie gehaltenen Plädoyer. Am Ende kommt er zu dem, im Manuskript gestrichenen, Schluß: »Von der Position des bürgerlichen Humanismus aus kann das Individuum als Mensch sich nur in der abstrakten Negation der bürgerlichen Welt bewahren, d.h. in seiner Selbstzerstörung … Die Angeklagten waren weiter als Hesses Steppenwolf …«
Mahler, damals noch kein Terrorist, hatte das Grundmotiv auf den literarischen Punkt gebracht: Der Akt der Befreiung im Akt der Vernichtung. Selbstmord als letzter Akt der Rebellion.
Noch während des Prozesses besuchte die »konkret«-Kolumnistin Ulrike Meinhof die Angeklagte Gudrun Ensslin in der Haftanstalt. Sie wollte für »konkret« einen Artikel schreiben und war tief beeindruckt von der schwäbischen Pfarrerstochter, die mit ihr selbst, ihrer Denkweise, ihrem eigenen Engagement soviel gemeinsam hatte. Nur, Gudrun Ensslin hatte nicht nur geredet, sie hatte etwas getan. Der Bericht über das Gespräch mit Gudrun Ensslin wurde nicht geschrieben. »Wenn das veröffentlicht wird, was sie mir gesagt hat«, erklärte Ulrike Meinhof in der »konkret«-Redaktion, »kommen die nie aus dem Gefängnis.«
Röhl später: »Auf die Frage: ›Würdet ihr auch die Brandstiftung gemacht haben, wenn das Hausmeisterehepaar in dem Haus anwesend gewesen wäre?‹ kam die ganz klipp-und-klare Antwort: ›Ja!‹ Das war Ensslin, die die Antwort gegeben hat.«
Statt des Interviews schrieb Ulrike Meinhof einen Kommentar mit dem Titel »Warenhausbrandstiftung«:
»Gegen
Weitere Kostenlose Bücher