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Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)

Titel: Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Aust
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heraus, zu Taten, die ich nicht übersehen kann, vielleicht aber in zehn Jahren als berechtigt anerkennen muß. Das wäre mir vor einem Jahr oder vielleicht noch vor einer Woche unmöglich gewesen zu sagen. Aber sie hat mir eine Angst genommen, und sie hat mir den Glauben an sie nicht genommen.«
     
    Der Fernsehreporter durfte an diesem Tag auch Gudrun Ensslin selbst befragen. Ohne Kamera, aber Tonbandaufnahmen waren gestattet. Der Journalist baute das Gerät auf und sagte: »Ein Grund, warum man glaubt, Sie nicht verstehen zu können, ist, daß Sie sich nicht zu Ihrer Tat bekannt haben.«
    Gudrun Ensslin widersprach. Sie hätten sich zu dem Brandanschlag bekannt, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als es ihnen sinnvoll erschienen sei. Ein solches Bekenntnis habe ohnehin zweitrangige Bedeutung. »Es geht nicht darum, der Gesellschaft irgendwelche Helden oder Märtyrer zu liefern. Man muß zeigen, daß man in einem ganz normalen Zustand, ohne heldische Euphorie, das, was man denkt, kurz begründet.«
    Das hätten Baader und sie im Prozeß getan.
    »Aber selbst wenn wir zwei Stunden lang geredet hätten, wäre hinterher immer noch gesagt worden, es ist zweifelhaft, daß das Überzeugungstäter sind. Die tun jetzt nur so. Sie wollten halt ihren Spaß haben. Die waren rücksichtslos. Die haben sich nichts dabei gedacht. Das wäre auf jeden Fall die Argumentation der Gegenseite gewesen.«
    »War denn die Tat richtig?«
    »Es war richtig, daß etwas getan wurde. Daß wir das Falsche gemacht haben, das haben wir deutlich genug gesagt. Aber wir haben keinen Grund, darüber mit der Justiz oder mit dem Staat zu diskutieren. Das müssen wir mit Leuten diskutieren, die so denken wie wir.«
    Es wäre eben sinnlos gewesen, den Richtern länger als fünfzehn Minuten die Motive der Brandstiftung erläutern zu wollen. »Sie sind wie alle, die in diese Gesellschaft integriert sind. Sie können nicht tun, was sie wollen, denn sie wollen nur das, was sie sollen.«
    »Würden Sie widersprechen, wenn man Ihre Tat als eine – in der Ausweglosigkeit der Situation – befreiende Tat bezeichnen würde?«
    »Ja. Ganz entschieden. Es gibt inzwischen eine ganze Menge Leute, die wirklich das tun, was sie denken, und das denken, was sie tun. Diese bürgerliche Schizophrenie, dauernd zu tun, was man nicht meint, geht so weit, daß man eine demokratische Gesellschaft will und gleichzeitig eine faschistische Gesellschaft zimmert.
    Die Tat hat etwas mit einer Entwicklung zu tun. Und die Einsicht, daß es nicht das Richtige war, hat nichts Schändliches, sondern etwas, das man selbst, ohne rot zu werden, sehr laut sagen kann.«
    Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Irgend jemand hat gesagt, bei uns handelt es sich nicht um Irre, die glauben, man könne mit irgendeiner gloriosen Tat der Geschichte den Weg verwehren, die Geschichte in andere Bahnen zwingen. Das weiß niemand besser als wir selbst. Aber mit diesem furchtbaren Schreckgespenst, mit dem der Bürger hausieren geht, daß wir Vorstellungen hätten, als könnte irgendeine Gruppe von zwanzig Terroristen die Macht im Staat an sich reißen durch irgendeinen Putsch oder irgendeinen Handstreich, mit dem haben wir absolut nichts zu tun …«
     
    Das Thema Befreiung stand damals ganz oben auf der revolutionären Agenda. Eine Gefängnisstrafe galt als Bestätigung für die politische Entschlossenheit. Das ahnte auch Vater Ensslin. Einem Reporter sagte er über die Auswirkung der Haftstrafe auf Gudrun: »Sicherlich wird sie nicht aus dieser konsequenten Linie ausscheren, und es wird auch das Gefängnis nicht fertigbringen, sie da irgendwie beirren zu können. Sie hat diese ganze Tat merkwürdig gesund und befreit – persönlich – überstanden. Und wird auch die Gefängnis- und Zuchthausstrafe, bin ich ganz gewiß, gut überstehen.«
    Horst Mahler, der ebenfalls Gudrun Ensslin als Anwalt vertreten hatte, ahnte, daß es nicht bei der Kaufhausbrandstiftung bleiben würde: »Als wir so ein längeres Gespräch hatten, verabschiedete sie sich so mit einem Lächeln von der Seite her. Und sagte: ›Na ja, Sie werden auch noch mal die Kalaschnikow in die Hand nehmen.‹«
     
    Nach dem Urteil beantragten die Verteidiger eine Revision des Verfahrens und versuchten, Haftverschonung für die Angeklagten durchzusetzen. Das dauerte.
    Anfang 1969 löste sich die Beziehung zwischen Baader und Ello mehr und mehr auf. In den Briefen war viel von Trennung die Rede – als hätte er sich nicht schon

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