Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
über Funk alarmierter Streifenwagen heran. Ali und Ulrich wurden aufgefordert, jeweils in eines der beiden Polizeifahrzeuge zu steigen. Ulrich kletterte zu der Zivilstreife in den Volkswagen und wurde abtransportiert.
Ali Jansen, der einen gefälschten Ausweis vorgelegt hatte, war von den uniformierten Polizisten zu dem einige Meter entfernt stehenden Streifenwagen geführt worden. Einer der Beamten tastete Jansen nach Waffen ab. Ali öffnete seinen Mantel und schlug ihn leicht nach hinten. Blitzschnell griff er zu einer Pistole. Die Beamten packten sein Handgelenk und versuchten, ihm die Waffe zu entreißen. Jansen wehrte sich und schrie: »Haut ab, laßt mich los, oder ich schieße.« Er hatte den Zeigefinger am Abzug und ließ den Lauf zwischen den beiden Beamten hin- und herpendeln. Der eine Polizist rief dem anderen zu: »Hau ab!« Der rannte im Zickzack davon und warf sich in zehn bis fünfzehn Metern Entfernung zu Boden. Sein Kollege suchte Deckung in einem Gebüsch. Ali Jansen schoß wild in der Gegend herum und sprang dann in den Polizeiwagen. Als er den Motor anlassen wollte, schossen auch die Polizisten. »Aufhören!« rief Jansen.
Er schob sich über den Beifahrersitz aus dem Streifenwagen und streckte die Hände nach oben. In der rechten Hand hielt er seine Pistole.
»Werfen Sie die Waffe weg!«
Jansen schleuderte die »Firebird« von sich. Die Polizisten warfen sich auf ihn. Sie rutschten auf dem schneeglatten Boden aus. Jansens Nase begann zu bluten.
Einer der Beamten kniete auf ihm, während der andere Handschellen aus dem Streifenwagen holte. Ali wurde zur Kriminalbereitschaft gebracht. Dort zog man ihn aus und durchsuchte seine Kleidung.
Im Gerichtsurteil gegen ihn hieß es später: »Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte geschlagen wurde.« Ali Jansen wurde 1973 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Bei Ulrich Scholze hatten die Polizeibeamten einen gefälschten Ausweis gefunden. Er wurde vorläufig festgenommen, aber schon am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Er fuhr zu seiner Mutter, hatte genug von dem kurzen Baader-Meinhof-Abenteuer und meldete sich nicht mehr bei den anderen.
Die aber machten weiter. Das Leben im Untergrund war anstrengend. »Es war ja immer so, daß man irgendwie an einem Ort war, und dann passierte irgend etwas, dann mußte man alles umquartieren und wieder an einen ganz anderen Ort gehen«, erinnerte sich Astrid Proll. Nachdem sie in Frankfurt einmal beinahe festgenommen worden war, fiel sie in ein psychisches Tief: »Ich hatte mal wieder alles falsch gemacht, oder wir hatten was falsch gemacht, daß wir überhaupt in diese Situation kamen.« Wie in der deutschen Linken üblich, sei auch in der RAF alles ständig kritisiert worden: »Statt Leute zu unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen, wird man noch mehr zur Sau gemacht. Das war in der Gruppe genauso.« Astrid Proll war als gute Autofahrerin häufig dabei, wenn die anderen Aktionen machten: »Ich saß dann oft im Auto, wenn die anderen Banken oder irgendwas auscheckten.«
Einmal, kurz vor Weihnachten, war sie mit Ulrike Meinhof unterwegs. Es war Nacht, und Ulrike sagte plötzlich: »Jetzt reicht’s mir hier. Immer dieses draußen rumstehen, Schmiere stehen, irgendwelche Autos auschecken. Ich hab dazu keine Lust mehr, wegen eines solchen Theaters, wegen solcher Kleinigkeiten im Gefängnis zu landen.« Astrid empfand das ähnlich. Aber die Gruppe duldete keine Diskussionen. Die Autorität der Doppelspitze Baader/Ensslin war in der Illegalität noch mächtiger geworden als zuvor. Astrid war froh, wenn sie »einen Job, ein Projekt hatte, was ich selber machen konnte«.
17. Die Weihnachtskrise
Am zweiten Weihnachtstag 1970 trafen sie sich in Stuttgart: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Astrid Proll, Marianne, Beate und Teeny. Nach etwas mehr als einem halben Jahr im Untergrund waren mehr Gruppenmitglieder verhaftet worden als jetzt zusammensaßen. Die Stimmung war gedrückt. Ulrike Meinhof übte Kritik. Die Ereignisse der letzten Zeit, die Verhaftungen und Unfälle seien auf fehlerhaftes Verhalten der Gruppe und eine falsche Gesamtplanung zurückzuführen. Baader hielt dagegen: »Das ist das Versagen einzelner.« Er schlug vor, so wie bisher weiterzumachen. »Wir müssen planvoller und umsichtiger vorgehen«, beharrte Ulrike Meinhof. Baader fühlte sich angegriffen. »Wir brauchen mehr
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