Der Babylon Code
Millionen rot glühender Punkte, Flammen züngelten in tiefem Blau, wurden erst weiter oben rot und gelblich.
Es dauerte eine Weile, dann platzte der Kolben. Die Flüssigkeit verdampfte und ging einfach im Rauch des Holzes unter.
Wortlos drehte sich Benedikt um. Mit schweren Schritten verließ er den kleinen Kreuzgang. Elgidio Calvi folgte ihm mit dem Koffer, der nur noch die Tafeln und die Knochen enthielt.
»So einfach ist das«, murmelte Chris und sah Jasmin an.
Hieronymus trat zu ihnen.
»So schwer war das«, entgegnete der Mönch. Er hatte Chris’ Worte gehört.
»Und er ist sich im Klaren darüber, was er getan hat?«, fragte Chris. »Ich hätte es nicht gekonnt.«
Der Mönch sah ihn eindringlich an.
»Ich bin mir sicher: ja, er wusste, was er tat. Und es ist gut so.«
»Na ja, Sie sind ein Mann der Kirche. Was kann ich von Ihnen als Antwort auch erwarten.«
»›
Es darf nicht sein, dass er auch noch vom Baum des Lebens isst. Sonst wird er ewig leben!
‹«, sagte Hieronymus.
»Ja, ja. Die Worte der Bibel. Jedenfalls hat er dafür gesorgt, dass die Grundlage seines Glaubens nicht in Zweifel gezogen wird.«
»Er hat viel mehr getan – für die Menschheit.«
»Da bin ich aber gespannt.«
»Er hat im Sinne der Evolution gehandelt. Und damit auch im Sinne der Menschheit.«
»Das werden die Wissenschaftler sicherlich ganz anders sehen.«
»Ich glaube kaum. Denken Sie an die Evolution, an die Bibel der Wissenschaftler: Gäbe es keinen Tod, gäbe es kein Leben. Nur durch den Tod und neues Leben entwickeln sich die Arten fort. Auch der Mensch. Leben und Tod bedingen einander. Sie sind unzertrennliche Brüder. An diesem Axiom der Evolution führt kein Weg vorbei. Das ist keine Erkenntnis der Kirche, sondern der Wissenschaft.«
»Aber der Versöhnung von Glauben und Wissenschaft hilft das nicht.«
»Hören wir nicht auf die Fanatiker. Die Verstehenden und Toleranten beider Seiten sind schon viel weiter, denn sie wissen: Naturwissenschaft ist Gottesdienst. Und worauf ist der Gottesdienst der Gläubigen ausgerichtet? Auf die Schöpfung. Was aber ist mit der Schöpfung gemeint? Schauen Sie sich um. Beide meinen dasselbe, bezeichnen es nur mit anderen Worten.«
Rom Mittwoch
Üblicherweise begann die Generalaudienz des Papstes vor dem Petersdom jeden Mittwoch um halb elf. Aber der Papst verspätete sich an diesem Tag. Es war bereits elf Uhr.
»Langsam habe ich kein Sitzfleisch mehr«, murrte Philipp und wischte sich mit dem Oberarm den Schweiß von der Stirn. Die Sonne knallte nun schon seit Stunden auf seinen Kopf.
Sie hatten ihre letzte Nacht in Rom am Trevi-Brunnen verbracht und waren schon vor acht Uhr durch die Absperrungen auf den Platz geeilt, um sich Plätze nahe der großen Freitreppe zu sichern.
»Er wird schon kommen.« Anja strich sich über das kurze dunkle Haar. Sie sog die heitere Atmosphäre auf, die die Menschenmassen verströmten.
Die dunkelgrauen Plastikstuhlreihen im vorderen Teil des Platzes waren schon früh besetzt gewesen. Auf der restlichen Fläche des Platzes standen die Menschen dicht gedrängt.
»Ich muss immer wieder an den Typen denken, der uns auf der Hinreise ein Stück mitgenommen hat.«
Philipp starrte auf einen der riesigen Monitore, die zu beiden
Seiten des Platzes standen und abwechselnd Bilder der Menschenmenge oder Gesichter von Geistlichen oben unter dem Baldachin übertrugen.
»Du meinst diesen ehemaligen Polizisten, der auf dem Weg zu diesem Kunsthändler war.« Anja wusste sofort, wen Philipp meinte.
»Ja, den meine ich.« Philipp sah zur Freitreppe vor dem Petersdom. Ein mächtiger Baldachin spendete den Würdenträgern der Kirche, die nach und nach hinter dem leeren Papststuhl auf ihren Stühlen Platz nahmen, angenehmen Schatten. »Ob er seinen Transport erfolgreich erledigt hat?«
Er musterte die Sitzreihen links und rechts des Baldachins, wo in gebührendem Abstand hinter Absperrungen Woche für Woche die Privilegierten, die Auserwählten, die Geladenen saßen.
Eine Lautsprecherstimme erscholl.
»Was sagt er?«, fragte Philipp.
»Der Papst kommt aus Castelgandolfo, seiner Sommerresidenz. Sein Hubschrauber hatte einen Motorschaden, deshalb verspätet er sich. Aber er wird gleich hier sein.«
In das wieder auflebende Stimmengewirr aus aller Welt mischte sich der Gesang von Jugendgruppen und Kirchengemeinden, die noch einmal probten, bevor sie ihre Lieder zu Ehren Gottes, des Papstes und des christlichen Glaubens vortragen durften.
Wenig
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