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Der Babylon Code

Der Babylon Code

Titel: Der Babylon Code Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Schomburg
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aus rohem Holz.
    Zoe war Mitte vierzig und bestimmte als Chief Financial Officer die Finanzen von
Tysabi
, einem der rasch wachsenden Pharmaunternehmen der Welt. Ihr pechschwarzes Haar war halblang geschnitten und umrahmte ein dreieckiges, dezent geschminktes Gesicht mit weichen Zügen und tiefgrünen Augen. Nur die herabgezogenen Mundwinkel verrieten etwas von der kalten Konsequenz, mit der sie ihren Job durchzog. Sie war zierlich, trug normalerweise dunkle Kostüme mit hellen Blusen und fühlte sich in ihrer momentanen Kleidung aus Jeans und T-Shirt unwohl.
    Als Chief Financial Officer war es ihre wichtigste Aufgabe, den Aktienkurs von
Tysabi
permanent nach oben zu pushen. Davon konnte jedoch im Augenblick keine Rede sein. In wenigen Minuten würde sie sich vor dem Chairman Hank Thornten rechtfertigen müssen.
    »Das ist Hanks wahre Welt«, sagte Ned Baker, der in der offenen Tür stand und sie amüsiert beobachtete. »Hank ist Wissenschaftler und duldet in seiner Forschungsstation keinen Komfort.«
    Ned Baker hatte weiche Gesichtszüge mit intelligenten Augen, war mittelgroß, joggte täglich zehn Kilometer und arbeitete als Genetiker. Sie hatte ihn als wissenschaftlichen Berater angeworben, damit sie sich bei Fachfragen nicht allein auf ihr Bauchgefühl verlassen musste.
    Zoe Purcell war Investmentbänkerin, sie kannte die Welt der Finanzjongleure und des Risikokapitals. Ihre Blackbox waren die Naturwissenschaften, war das fachliche Terrain von
Tysabi
. Dort war sie dem CEO Andrew Folsom, der wie der Chairman Genetiker war, hoffnungslos unterlegen.
    Sie wusste, sie wäre als CEO besser als Folsom. Hank musste sie nur lassen. Aber der Chairman setzte in der Top-Position des Managements auf den Wissenschaftler statt auf die Finanzexpertin. Noch. Doch Zoe hatte ein Ass im Ärmel.
    »Wahre Welt – dass ich nicht lache!« Sie schnaufte. »Wasser analysieren, Wachstum von Bäumen aufzeichnen, Moose und Flechten zerpflücken, im Kot von Fledermäusen nach unverdauten Samenkernen suchen – er ist der Chairman eines Konzerns!«
    »Das ist Wissenschaft, Zoe!«, erwiderte Ned Baker sanft.
    Sie gingen hinüber zur Hauptbaracke.
    »So ist das. Vilcabamba ist ein ›Hot spot‹, an dem eine unerklärliche Vielzahl von Pflanzen wachsen. Nirgendwo auf der Welt werden so viele Menschen so alt wie hier, etliche weit über hundert Jahre. Und deshalb versucht man zu erforschen, warum das so ist.«
    »Na schön!«, knurrte Zoe, als sie die drei kleinen Stufen zur Eingangstür der Baracke hinaufstieg. »Wünschen Sie mir Glück in der Schlacht, Ned!«
    Sie ging durch den vorderen Teil der Baracke an verdreckten Forschern vorbei, die nach ihrer Kriecherei im Urwald zusammensaßen, ihre Beobachtungen in die Laptops hämmerten und kleine Urwaldabenteuer in Heldenepen verwandelten.
    Einer hielt eine sezierte Fledermaus in die Höhe und lachte auf, als Purcell angewidert den Kopf schüttelte.
    Sie öffnete die Tür und betrat den hinteren Raum.
    Hank Thornten sah nicht einmal auf.
    »Hi, Zoe. An dem Lachen habe ich erkannt, dass du es bist. Andrew ist schon hier.«
    Hank Thorntens dunkle Locken waren fettig und verdreckt, Spuren von Samenpollen klebten versprenkelt im Haar, und seine Fingerkuppen waren schwarz.
    Zoe Purcellnickte dem Chairman und dann auch Folsom kurz zu. Der CEO von
Tysabi
hockte neben Thornten an einem blank gescheuerten Holztisch. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, sich nur in teures und maßgeschneidertes Tuch zu kleiden, trug Andrew Folsom wie Thornten auch Jeans und ein kariertes Hemd. Seine Wolfsaugen taxierten sie hämisch.
    Auf der wuchtigen Platte standen Pflanzenbecher, Blätter und Blüten waren über den ganzen Tisch verstreut. Hank Thornten betrachtete die Struktur des Blattes in seinen Fingern durch ein Vergrößerungsglas.
    »Stell deinen Laptop an einen Ort, wo du keine der botanischen Wunder beschädigst.«
    Hank Thornten war fünfunddreißig Jahre jung und seit drei Jahren Chairman von
Tysabi
. Als größter Aktionär des ehemaligen Familienunternehmens war ihm der Posten nach dem Rückzug seines Vaters wie selbstverständlich in die Hände gefallen. Die Fusionen, mit denen er das Unternehmen immer näher an die Liga der großen Pharmakonzerne heranführte, wurden von ihm und seinen Beratern so geschickt eingefädelt, dass die Macht in seinen Händen blieb.
    »Was sagt die Wall Street?«
    »Wir haben die Krise gerade so gemeistert«, antwortete Zoe Purcell. »Den Aktienkurs konnten wir bei achtzehn

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