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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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krank, drohte er mir, und ich habe weder in der Schule noch beim Schwimmen je gefehlt, bei uns war keiner krank, meine Mutter nicht und ich nicht und nicht mein Vater, bis er sich aufhängte, und mit den Krüppeln und Verrückten hatten wir nichts zu tun.

    Ins Schwimmbad kamen sie nur selten, inzwischen sind sie tot und von selbst verschwunden, während man sie früher auf der Straße sah, am Sonntag, wenn mein Vater uns spazieren führte, sonntags, denn wochentags hatte man keine Zeit dafür, und wenn man nicht spazieren ging, gab es keinen Grund, sich grundlos auf der Straße herumzutreiben, weil man kein Krüppel war und kein Verrückter oder Landstreicher. Allenfalls bei Krüppeln konnte man das dulden, weil sie im Krieg gewesen waren, was man an ihren abgeschossenen Beinen sah, wenn sie auf kleinen Brettern hockten und sich mit ihren Händen auf Rädern fortbewegten, falls sie noch Hände hatten, und mein Vater sagte, die meisten wären Feiglinge und selbst an ihrem Unglück schuld, denn schließlich sei auch er im Krieg gewesen und unversehrt zurückgekehrt. Ich durfte nicht mit ihnen sprechen und habe es auch nicht getan, weil ich mich als Kind vor ihnen fürchtete, und später kamen sie nie ins Schwimmbad, denn wer ins Schwimmbad kommt, hat beide Arme und zwei Beine, oder doch wenigstens einen Arm und immer beide Beine. Auch Blinde kamen nicht, ebenso wenig wie Verrückte, die laut mit sich selbst reden oder grundlos lachen, denn meistens ist, wer schwimmen geht, gesund und bei Verstand.

    Hören Sie? Ich kenne die Leute nicht, daraus kann man mir keinen Vorwurf machen, und wenn irgendein Verrückter auf der Straße glaubt, dass er mich kennt, so bin nicht ich dafür verantwortlich. Falls er etwas zu mir gesagt hat, so konnte ich es nicht verstehen, weil der Verkehr zu laut war. Verstehen Sie? Entweder es ist sehr laut oder sehr still. An diesem Tag war es so laut, dass ich nichts hören konnte, ein schöner Tag, wenn auch kalt, und der Platz nahm kein Ende, obwohl die Zeit nicht vergehen wollte, ich wäre gerne umgekehrt, lief ich immer weiter, bis es dunkel wurde. Dann erst kehrte ich um und ging zu Cremer.
    Ich habe mich bemüht, die Zeiten einzuhalten, morgens pünktlich aus dem Haus zu gehen und abends um die gewohnte Zeit zurückzukehren. Die Zeit dazwischen war zu lang. Um die gleiche Zeit wie immer ging ich fort, kehrte zurück wie immer. Anders war ich es nicht gewöhnt, und morgens geht man aus dem Haus. Sagte meiner Mutter nichts und Cremer nichts, kam abends zu seinem Kiosk, da schob er mir mürrisch die Tüte mit den Brötchen zu, wo warst du denn, jetzt sind sie trocken, sagte er und weiter nichts, ich nahm die Tüte, nickte, schwieg. Viel habe ich nie gesprochen, und am Ende kann man nicht erklären, was man erklären wollte, denn jeder müsste es doch wissen: Das Schwimmbad ist geschlossen. Die Sätze sind wie große Tafeln oder Schilder aufgehängt, jeder kann sie sehen, die Sätze wiederholen nur, was vor aller Augen liegt, und ich hatte nie ein Geheimnis, ein weißer Zettel hing am Eingang, als die Wannenbäder noch geöffnet hatten, das Schwimmbad ist geschlossen, stand darauf geschrieben, und wenig später wurde der Zettel durch ein Pappschild ersetzt. Ab dem 30. November bleibt das Volksbad geschlossen, stand darauf, und jeder konnte es sehen.

    Ich erinnere mich genau an den Tag nach meiner Entlassung. Ich bin durch die Stadt gelaufen.
    Gegen Abend sah ich einen dünnen Mann, der auf einer Bank saß und das Gesicht in beide Hände stützte, nicht aufschaute, als ich vor ihm stehen blieb. Er schläft, dachte ich, auf offener Straße schläft er, und blieb stehen, doch rührte er sich nicht, selbst als ich leise rief.
    Es wusste im Schwimmbad keiner der Badegäste meinen Namen, auch diejenigen, die regelmäßig kamen, wussten nicht, wie ich heiße. Da keiner mich mit Namen rief, konnten sie ihn nicht wissen, und außer Cremer benutzte niemand meinen Namen, der im Schwimmbad nichts zur Sache tat, da ich der Bademeister war, und einen anderen gab es nicht, so dass man Bademeister! rufen konnte, und das war immer ich. Man musste mich nie lange suchen, ich war in der Halle, allenfalls in den Auskleidekabinen, aber meistens lief ich um das Becken und sah, wenn einer mich rufen wollte. Ich habe mich bemüht, aufmerksam zu sein, denn wer im Wasser ist, hat vielleicht nicht mehr die Zeit, laut zu rufen, oder nicht die Kraft, und ich habe darauf geachtet, dass einer nicht schreien muss. Es soll

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