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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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dort, die meisten saßen nicht, sie blieben stehen, warteten und wussten ja, es würde nicht lange dauern. Auch ist es zugig dort. Ich sah die Züge, die Gesichter hinter den großen Scheiben, die Türen und das rote Licht, das zur Warnung blinkt, jeder Zug wird eigens angekündigt, jedes Mal wird ausgerufen, dass man zurückbleiben muss; für einen Moment wollte ich einsteigen und mitfahren, doch musste ich ja nirgends hin. Man sieht, wenn einer nirgends hinwill.
    Später kamen Beamte, die Hunde an der Leine führten, sie musterten mich aufmerksam, der eine Hund kam bis zu mir, er schnüffelte durch seinen Maulkorb an meinen Beinen, ich wollte aufstehen, wollte nicht wieder in die Wohnung, blieb sitzen, und als die Wachmänner sich endlich entfernten, dachte ich, dass ich ins Schwimmbad zurückkehren müsste, um jeden Preis.

    Am Vormittag kamen ganze Schulklassen, Kinder mit Ranzen und Mappen rannten die Treppen herunter und tobten so nahe an der Bahnsteigkante, dass mir angst und bange wurde. Ich habe die Wärter in ihren Glashäuschen beobachtet, sie unterhalten sich oder lesen, sie haben oft kein Auge für das, was sich auf ihrem Bahnsteig abspielt, eine Zeit lang dachte ich, es wäre gut, wenn ich mich dort aufhielte, ich könnte ein Gleis im Auge behalten, denn zuweilen treffen zwei Züge gleichzeitig ein, der Bahnsteigwärter kann unmöglich das eine und das entgegengesetzte Gleis gleichzeitig beobachten, selbst wenn er aus dem Glashäuschen tritt und mitten auf dem Bahnsteig steht. Er ist auf Hilfe angewiesen, dachte ich, und dass ich von dieser Arbeit etwas verstehe, ihm meine Hilfe anbieten könnte, ich bin darin geübt, wollte ich sagen, darauf zu achten, dass es nicht zu einem Unglück kommt, bei mir ist nie ein Unglücksfall eingetreten, in fast vierzig Jahren nicht ein einziges Mal, ich sei auch nur in den Ruhestand versetzt, weil das Schwimmbad geschlossen ist, um Vorruhestand handelt es sich, ich bin erst 58 Jahre alt.

    Ein paar Tage hielt ich mich jeden Mittag auf einem Bahnsteig auf, immer andere Stationen waren es und andere Aufsichtspersonen, manchmal war der Bahnsteig in der Mitte zwischen den beiden Gleisen, manchmal verliefen die Bahnsteige links und rechts, so dass jede Richtung einen eigenen Bahnsteig hatte.
    Einmal saß ein dünner junger Mann auf einer Bank und hielt sein Gesicht mit beiden Händen. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, doch an der Körperhaltung erkannte ich ihn, so wie ich überhaupt darin geübt bin, Menschen an ihrer Körperhaltung wiederzuerkennen, es waren seither drei Wochen oder vier vergangen, damals war seine Kleidung ordentlich gewesen, nicht so wie die des Buckligen mit den karierten Hosen, die über den Knöcheln endeten und verschiedenfarbige Socken sehen ließen. Es war derselbe junge Mann, den ich am Tag meiner Entlassung gesehen hatte, er war vor Müdigkeit auf einer Bank eingeschlafen, hörte nicht, als ich ihn rief, und dann sah ich, dass seine Kleider verdreckt waren, zerrissen, als hätte er seither immerfort draußen an Haltestellen oder sogar in Parks geschlafen, und weil sein Hosenbein zerrissen war, sah ich, sein nacktes Bein war aufgesprungen in der Kälte, die Wunde war entzündet, und ich dachte, dass man ihn so nicht ins Schwimmbad lassen dürfte.

    Wenn möglich, habe ich vermieden, dieselbe U-Bahn-Station mehrmals aufzusuchen, und wenn mir das misslungen ist, so liegt das daran, dass ich mich verlaufen habe. Trotzdem habe ich mich bemüht, niemandem zur Last zu fallen. Nur war es kalt geworden, und die Tage waren einer nach dem anderen grau, immer derselbe dunkle Morgen, wenn ich aufwachte, ich nahm mir vor zu warten, bis es hell würde, stand am Fenster, ging durch den Flur und in die Küche, kochte mir Tee, und wenn ich den Tee getrunken hatte, war noch immer keine Zeit vergangen. Jeden Morgen dachte ich, dass ich in der Wohnung bleiben sollte und dass ich mich daran gewöhnen würde, es gab ja keinen Grund hinauszugehen, sei froh, dass du es hinter dir hast, hatte Cremer mir gesagt. Und dann nahm ich den Mantel doch, bevor es hell geworden war, denn an einem gewöhnlichen Tag wäre ich zu spät ins Schwimmbad gekommen.

    Wenn man den ganzen Tag läuft, dann tun die Füße weh, man muss sich setzen, um auszuruhen, die Augen werden müde, man stolpert leicht, die Leute mustern einen auf der Straße, manchmal stecken zwei die Köpfe zusammen, flüstern sich etwas zu, und zuweilen habe ich vielleicht laut mit mir selbst gesprochen. Die Leute

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