Der Bademeister: Roman (German Edition)
Cremer.
Vor vier Tagen wollte ich noch einmal in die Wohnung gehen. Die Haustür habe ich aufgeschlossen und bin durchs Treppenhaus hinaufgegangen. Die Wohnungstür war versiegelt. Ich stand vor der Tür, deren Schlüssel rechtmäßig in meinem Besitz ist. Ich glaubte, dort hätte ich mich ordnungsgemäß aufzuhalten, wogegen ich im Schwimmbad ein Eindringling bin. Im Treppenhaus hörte ich die Nachbarn aus dem darunter gelegenen Stockwerk. Als ich rufen wollte, sprachen sie über mich und darüber, dass jede Spur von mir fehle. Er ist verschwunden, sagte der eine Nachbar, als hätte es ihn nie gegeben, spurlos verschwunden, stimmte der andere zu, man könnte meinen, er hätte hier nie gewohnt. Wenn eine ganze Mauer, sagte der Erste, verschwindet, kann auch ein Mensch verschwinden. Er war ja sowieso arbeitslos, sagte der Zweite. Wie gut, dass seine Mutter das nicht mehr erlebt.
Ich wartete, bis die beiden Nachbarn die Wohnungstüren hinter sich geschlossen hatten, dann ging ich unbemerkt die Treppen hinunter und aus dem Haus, und während ich die Straße entlanglief, dachte ich daran, dass ich ohne Spur verschwunden war, und hoffte, niemanden zu treffen, der mich kannte. Aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Die Leute, die mich als Bademeister gesehen haben, würden mich nicht wiedererkennen, sie kennen mich in Badehose oder Bademantel, und für sie wie für mich existierte ich da, wo lebenslang mein Platz gewesen war, im Stadtbad, am Rand des Schwimmbeckens.
Niemand hätte mich daran gehindert, in der Wohnung zu bleiben. Wäre ich. zur gewohnten Zeit nicht aufgewacht, so hätte keiner das bemerkt, den ganzen Tag wie alle folgenden hätte ich dort zubringen können, und wirklich blieb ich einen Tag zu Hause, lief erst durch Flur und Wohnzimmer und in die Küche, im Bad lagen die Lockenwickler meiner Mutter, ich suchte sie zusammen, ging dann hinunter, trug sie zur Mülltonne wie auch ihr Bettzeug. Ich habe nichts zu verbergen. Das Bettzeug war nicht sauber, der Arzt hat mich gefragt, ob unser Verhältnis gut gewesen sei, ich antwortete, wir hätten beide hier gewohnt, Besonderes sei niemals vorgefallen. Cremer erklärte, mein Vater habe sich umgebracht, und als der Arzt mich fragte, wo ich arbeitete, antwortete ich ihm, ich sei entlassen.
Das Zimmer meiner Mutter habe ich nur betreten, um nachzusehen, ob sie wirklich tot daliegt, und dann noch einmal, als ich das Bettzeug wegtat. Die Wohnung war immer aufgeräumt und sauber, im Wohnzimmer standen ein Sofa und zwei Sessel an einem Tisch, in der Ecke stand der Fernseher und auf dem Fernseher das Foto meines Vaters. Ich habe überlegt, ob ich sein Foto wegstellen sollte, doch wusste ich nicht, wohin, und schließlich habe ich es mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch gelegt. Im Schrank fand ich ein Fotoalbum, die Daten unter den Fotos waren durchgestrichen. Das Fotoalbum habe ich weggeworfen. Wenn ich jetzt an die Wohnung denke und daran, dass sie versiegelt ist, dann scheint mir, ich hätte auch das Foto meines Vaters wegwerfen sollen. Ich kehre nicht dorthin zurück. Wir haben darin zu dritt gewohnt, und seit ich als vermisst gelte, steht sie leer. Aber auch schon in den Tagen vorher war keiner da. Ich bin den Flur entlanggelaufen. Ich dachte, jetzt könnte ich tagsüber dort bleiben. Im Flur und auch in allen Zimmern war der Fußboden mit Linoleum bedeckt, wenn man darauf läuft, hört man die Schritte. Ich bin hin und her gelaufen, manchmal stand ich am Fenster. Es war der Morgen, nachdem sie meine Mutter abgeholt hatten, in einem einfachen Sarg, der am übernächsten Tag verbrannt würde, wie die beiden Männer mir erklärten, als hätte ich etwas falsch gemacht. Es war sehr still, es regnete. Ich habe lange am Fenster gestanden. Für einen Moment glaubte ich, ich könnte meine eigenen Schritte hören, im Flur, im Wohnzimmer, auf und ab.
An dem Tag, an dem meine Mutter eingeäschert wurde, saß ich zum ersten Mal unten auf dem Bahnsteig. Es regnete, die letzten Blätter fielen von den Bäumen, ich war schnell nass und durchgefroren, war niemals krank gewesen, musste mich setzen, weil mir schwindelig war, im Schwimmbad ist es immer warm gewesen, und grundlos läuft man auf der Straße nicht herum. Als ich das Schild der U-Bahn sah, ging ich hinunter und dachte, dass ich mich dort hinsetzen könnte. Es hat geregnet. Als Junge habe ich manchmal an einer U-Bahn-Station gesessen, um zu lesen.
Den Platz habe ich niemandem weggenommen, es waren nicht viele Leute
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