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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Spiegelbild: einer, der auf der Straße lebt und mit sich selber redet. Nicht einmal Cremer würde mich erkennen.
    Ich wäre nicht dazu imstande, dachten sie, zurückgeblieben, tuschelten sie hinter meinem Rücken, beschränkt, unfähig, etwas anderes zu tun, als vor sich herzusagen, was auf den Schildern in der Halle geschrieben steht: Gesicht der Leiter zugewandt!
    Jetzt warte ich. Das Becken ist wieder voller Wasser, gleich früh am Morgen kommen sie, rufen mir guten Morgen! zu, verschwinden in den Kabinen, um sich auszukleiden, betreten in Badezeug die Halle und stehen am Beckenrand, bücken sich, strecken die Hand aus, als wollten sie die Temperatur des Wassers prüfen, bewegen sich nicht mehr. Die alte Frau mit ihren schütteren, weißen Haaren steht an der Treppe, noch magerer als vorher, das rechte Knie geschwollen, ein Mann, der etwa vierzig Jahre alt ist, greift mit der Hand nach der Leiter, auf seinem großen, dunklen Rücken leuchten zwei Narben, die dicke Frau mit ihrem Enkelkind bleibt hinter einem Pfeiler und hält es fest am Arm. Sie alle scheinen wie versteint, gerade erst sind sie hereingekommen, das Becken war bis zum Rand gefüllt, sie scheinen mich nicht zu erkennen, dann wenden sie sich ab, das Becken liegt leer und staubig, und sie gehen, ich kann es nicht verhindern. Ich wollte rufen, vorhin war es, wollte rufen, aber es hört mich niemand.

    Ich habe sie gehasst, die Badegäste. Tag für Tag die nackten Mädchen, mir macht keiner etwas vor, der alte Bademeister ist in die Auskleidekabinen der Frauen hineingegangen, wir standen uns gegenüber, er auf der einen, ich auf der anderen Seite, er da, wo sich die Frauen auszogen, ich bei den Männern, er achtete nicht auf das Becken und die Schwimmer, stand mit dem Rücken zum Wasser und zu mir, ein alter Mann, fand jeden Augenblick im Umkleideraum und bei den Duschen etwas zu tun, ein Jahr lang habe ich ihn beobachtet, ihn und wie er jungen Frauen aus dem Wasser half, wie er ihnen einen Klaps versetzte, sein alter Körper, fleckig, schlaff, ein groß gewachsener Mann, die Frauen ließen es geschehen, ein alter Mann, der sich nach jedem Mädchen umdreht, die Beine, Brüste mustert, und zufällig ein Klaps auf einen Hintern, wie zufällig oder wie um zu helfen die Hand auf einer Schulter. Der schlaffe Körper, wie der erhängte Körper meines Vaters, sein Hemd hatte er ausgezogen, so wie er mir befahl, das Hemd auszuziehen, bevor er mich verprügelte, auf meinem Rücken Striemen, hörte erst auf, mich zu verprügeln, als ich zu schwimmen anfing, die anderen meinen Rücken sahen. Später bin ich nicht mehr geschwommen. Der alte Bademeister konnte es noch von mir verlangen, sprang selbst ins Becken, ich musste ihn aus dem Wasser ziehen, die Arme um seinen Brustkorb schlingen, ihn kräftig anfassen, ich musste täglich schwimmen, das Chlor zerfrisst die Haut und bleicht die Haare, abends forderte er, ich solle länger bleiben, setzte sich auf die Holzbank und fing an zu sprechen, mit mir oder mit sich selbst, und wenn er dasaß, war sein Körper schlaff wie der meines erhängten Vaters.
    Ich habe Jahre nicht daran gedacht, wollte nie daran denken, ich war der Bademeister. Gesprochen habe ich nicht mehr, als unbedingt notwendig war, und jetzt sind die Wörter wie der Staub auf den Kacheln, man kann nicht atmen. Seit Tagen laufe ich hier auf und ab, es geht mir nicht mehr aus dem Kopf, die ganzen Jahre, leer wie das Becken, und ich weiß, dass sich die Kacheln lösen. Sie würden das Wasser nicht mehr halten, die Zeit gerinnt, wegwaschen muss man sie, die Zeit ertränken, kein Mensch kann das ertragen, sie kommen nicht mehr her, man muss nur Wasser aus dem Becken schöpfen, dann sind die Flecken fort, und es ist nichts geschehen.

    Es ist der letzte Tag. Das Licht fällt so matt durch die Scheiben, als wollte es die Farbe der Kacheln zum Verlöschen bringen. Sie haben früher grün und blau geglänzt, die Blumen an den Pfeilern leuchteten an manchen Abenden wie Schmuck in einem Festsaal, die Fische an den eisernen Gittern schienen lebendig, als wollten sie gleich im Wasser davonschwimmen, und Tanja, Cremers Tochter, hat mich gefragt, warum ich die Fische nicht ins Becken lasse. Mitten im Becken liegt ein toter Fisch, er ist ganz leicht, vertrocknet, mit eigenen Händen habe ich ihn dorthin getragen, jetzt ist es nur ein kleiner, dunkler Fleck, man kann ihn nicht erkennen, wenn man nicht von ihm weiß, das ist bei Toten immer so, nach kurzer Zeit kann man

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