Der Bademeister: Roman (German Edition)
Löwen mit ihren Fratzen. Die Uhr ist stehen geblieben. Auf den Treppen, die zum Nichtschwimmerbecken führen, habe ich Haare gefunden. Man sagt, dass Haare und Fingernägel auch nach dem Tod noch wachsen. Die Leute sind von allein verschwunden, man braucht den Tod nicht, damit sie verschwinden. Die Badegäste, die hierherkamen, sind fort, als hätten sie nie existiert, und seit das Schwimmbecken leer, die Halle geschlossen ist, gibt es keinen Bademeister mehr. Ein Beschluss, ein Brief reicht aus, um alldem ein Ende zu machen. Ich wollte es nicht glauben. Ich bin hierher zurückgekehrt. Noch gibt es das Gebäude, die Mauern, die Schwimmhalle und die Kacheln. Wohin soll ich denn gehen? Die ganzen Jahre habe ich hier verbracht.
Jetzt sind es vierzig Jahre. Ich habe nicht darum gebeten. Das Becken geleert, die Halle, das ganze Bad geschlossen, nichts weiter als ein Beschluss, ein Brief: dass man mich nicht mehr braucht. Sie können das nicht mit mir machen. Wohin soll ich gehen? Die Tage sind sehr lang.
Die Zeit vergeht nicht mehr, aber den Verfall hält sie nicht auf. Ich bin hierher zurückgekehrt. Sie haben mir die Zeit angelastet. Einer muss die Zeit festhalten, jeden Tag, die Wochen, einer muss die Zeit wie eine Uhr im Blick behalten, damit nicht alles verfällt, verschwindet, so wie einer sich ums Wasser kümmert, Chlor hinzufügt, die Filter säubert und mit Sorgfalt darüber wacht, dass nichts das Wasser verunreinigt. Außer mir kennt keiner die Beschaffenheit des Wassers. An jedem Badegast, an jedem Schwimmer kann ich ablesen, wie viel Chlor und wie viel Flockungsmittel zum Wasser hinzuzufügen sind, an ihrem Gesicht und ihrer Haut und Müdigkeit und ihrer Miene liest man es ab, und jeder Tag ist anders. Im Wasser bleibt etwas zurück, von jedem Einzelnen. Seit das Wasser abgelassen ist, gelten die Jahre, die ich hier verbracht habe, nichts mehr. Man hat das Schwimmbad geschlossen und mich fortgeschickt. Nun ist es zu spät. Ich gehe nicht mehr hinaus, auch in den Keller gehe ich nicht mehr. Es wird schon kühler, und morgen wird es kalt sein, so kalt, dass schließlich die Mauern erkalten, die Heizungsrohre platzen.
Der Weg ist abgeschnitten.
Die Tage werden in diesem Jahr nicht länger. Von den Fenstern der Galerie kann man hinaus und auf die Bäume in der Straße sehen. Die kahlen Äste hängen in der Luft wie Sprünge in den Scheiben, nur wenn man den Kopf bewegt, erkennt man, dass dort draußen Zweige sind. Ich gehe nicht mehr auf die Galerie. Die Luft hat einen Sprung. Vielleicht haben sie draußen die Badegäste in einer langen Reihe aufgestellt. Die Badegäste warten in der Kälte, bald werden sie erfrieren. Der Weg ist abgeschnitten. Sie atmen noch, aber sie atmen schwer, der Staub haftet an der Luft. Der Staub ist giftig. Zwei Kacheln an der Treppe haben sich gelöst, ich habe sie herausgenommen und an den Rand gelegt, da liegen sie stumpf und klirren, wenn man dagegen stößt. Sie wiegen kaum noch etwas, wenn man sie aufhebt, sie werden kleiner, und Risse zeigen sich. Bald werden auch die anderen Kacheln abspringen, und wenn man in das Becken geht, dann klirren die Schritte, als liefe man durch Scherben. Ich habe meine Schuhe ausgezogen, damit man mich nicht hört. Es ist schon kalt. Auch Tanja hatte sich erkältet, weil sie barfuß lief, und ihre Mutter wollte sie nicht ins Schwimmbad lassen. Vor Cremers Kiosk hat sie die Schuhe nicht ausgezogen. Man zieht auf offener Straße nicht die Schuhe aus. Die Haut platzt auf, die Wunden wollen nicht verheilen. Hören Sie? Die Badegäste werden sich erkälten. Mit Fieber soll man nicht ins Wasser gehen. Man müsste ihnen helfen. Es sind jetzt Wochen, dass sie draußen warten. Die Uhr ist stehen geblieben, schon vor einer Weile. Von den Löwen, die die Galerie gehalten haben, ist eine Tatze abgefallen, und vielleicht gibt es keine Schatten, vielleicht gibt es nur Staub. Ich habe mich gebückt, um nachzuschauen. Den Staub wollte ich aufsammeln. Aber die Schatten haben Angst; selbst Tote haben Angst. Von mir aus dürfen sie hierher kommen. Das Schwimmbad ist geschlossen, und es gibt Platz genug. Ich habe die Schuhe ausgezogen. Ich weiß nicht, ob die Toten Schuhe tragen. Im Keller ist es schmutzig, die weißen Turnschuhe sind voller Flecken, ich darf sie nicht mehr anziehen, Frau Karpfe und der Hausmeister würden mich anzeigen, sie hätten Grund, mich zu entlassen, vor ein paar Jahren haben sie damit gedroht, und eine andere Arbeit würde ich nicht
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