Der Bär
scharfer Hund. Der war Steuereintreiber. Und damals hatte jeder Steuerschulden, wirklich jeder. Deshalb haben die auch den Mund gehalten. Alle.« Dann verzog er das Gesicht zu einem breiten Lächeln. »Aber, ob das alles wahr ist, weiß kein Mensch. Das haben meine Eltern und andere sich so gedacht. Weil das alles passte. Aber vielleicht stimmt das alles nicht, vielleicht war das alles anders. Jedenfalls habe ich so manchen Winter meiner Jugend spannende Abende beim Zuhören gehabt.« Dann lachte er in unsere verblüfften Gesichter.
»Moment, Moment«, sagte Rodenstock in die anschließende Stille. »So kann das aber nicht gewesen sein. Tutut hatte keinen festen Wohnsitz, Tutut war ein Niemand. Und ein Niemand kann keine Steuern schulden.«
»Nänänä!«, feixte der alte Juppes, Rodenstock dabei imitierend. »So einfach ist das nun wieder auch nicht. Es kann auch der Richter gewesen sein, sogar der Medizinalrat, wie der als Arzt damals hieß, sogar ein Forstrat. Na ja, der ganze Zirkel eben.«
»Und wie viele Leute bildeten diesen Zirkel?«, fragte ich.
»Zehn ehrenwerte Herren.« Juppes genoss diese Aussage über alle Maßen.
»Aber warum, verdammt noch mal, soll denn einer von denen den Tutut getötet haben?« Emma war richtig ärgerlich.
»Weil Tutut wat wusste, wat er nicht wissen sollte. So einfach is dat!«
»Und was wusste er?«, fragte Esther. Jetzt war sogar sie interessiert.
»Das ist die Frage.« Juppes zog und dehnte jedes Wort. »Also, ich denke, er hat was gesehen. Und dabei ist er gesehen worden.«
3. Kapitel
Heißt das auf gut deutsch, dass Sie ... äh ... dass du uns zehn Verdächtige anreichst?«, fragte Rodenstock.
»Na ja, das ist eben so.« Er strahlte, er hatte uns verwirrt, er war erfolgreich.
»Und wieso dieser Wesendonker? Dieser Steuereintreiber?«, fragte Emma.
»Na ja, weil er doch dauernd durch die Gegend zog, um Steuern einzutreiben.«
»Und der Arzt? Ist der nicht dauernd bei Hausbesuchen unterwegs?«, fragte ich.
»Ja klar«, nickte der alte Juppes. Sein Ledergesicht war so ausdruckslos wie das eines alten Indianers. »Wir haben doch nur überlegt damals. Mein Vater und seine Freunde haben auch überlegt, immer nur überlegt. Damals gab es noch keine Heftchen mit Kreuzworträtseln. Also, es ist doch so: Der Tutut übernachtete damals an der Weggabelung Gerolstein-Daun-Rockeskyll. Also da ist er ja auch erschlagen worden. Und nun sagten wir uns: Wer zog denn damals die Wege rauf und runter, ohne aufzufallen? Das war Wesendonker, das war der Arzt, das war damals aber auch der Apotheker. Denn der kümmerte sich ums Vieh. Einen Viehdoktor hatten wir damals nicht hier.«
»Und was ist mit Viehhändlern?«, fragte Emma scharf.
»Ja«, nickte Juppes. »Die gab es auch.«
»Moment mal«, sagte ich. Emmas Schärfe war zu verstehen. Der alte Juppes gab an wie ein Sack Seife, aber ob hinter seinen Worten eine wirkliche Geschichte steckte, war absolut unklar. Er hatte einen Heidenspaß daran, uns zu verblüffen und zu verwirren. Aber was taugte das alles? »Juppes, reiß dich mal am Riemen. Von mir aus gegen zwanzig Stumpen, einverstanden? Einverstanden, Juppes?«
Er strahlte, er nickte so heftig, dass es beinahe so wirkte wie ein Schüttelkrampf. »Na sicher. Dafür verkauf ich meine Großmutter.«
»Gut, dann konzentriere dich bitte. Es existiert ein altes Foto vom Eisenbahnbau in Pelm. Jahreszahl 1870. Dann wissen wir, dass Gerolstein im Jahre 1870 an die Eisenbahn angeschlossen war. Auf gut deutsch heißt das, dass ein Täter auch mit der Eisenbahn gekommen sein kann. Ist dir das klar? Habt ihr das damals auch überlegt? Und noch etwas: Die Züge fuhren im Bereich von Kurven und Steigstrecken so langsam, dass du unterwegs Blumen pflücken konntest. Habt ihr daran gedacht? Es muss nicht jemand aus Gerolstein gewesen sein, der den lieben Tutut ins Jenseits beförderte. Weshalb also dieser Steuereintreiber Wesendonker? Weshalb, Juppes? Wahrscheinlich doch deshalb, weil sie ihn alle gehasst haben, nicht wahr? Juppes, sag die Wahrheit!«
Nach einer Weile murmelte er: »Das stimmt, viele haben ihn gehasst. Aber viele haben auch gesagt, dass er ein besonders ... na ja, eben ein freundlicher Mensch war. Hat schon mal gemogelt, wenn einer nicht zahlen konnte, hat schon mal geschrieben: Ich habe den Schuldner nicht angetroffen. Also schlecht war er nicht, der Wesendonker.«
»Wo lebte denn dieser Wesendonker?«, fragte Esther ganz ruhig.
Wir sahen uns grinsend an.
»In
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