Der Bär
sagen, sie haben dich gemocht, aber sie haben nichts dafür getan. Ich hoffe, der Bär hat deinem Mörder den halben Arsch weggerissen. Ich gebe dir deine Geschichte wieder, ich gebe dir deine Geschichte wieder. Sie haben dich würdelos behandelt, sie haben dich würdelos verscharrt.
Ich fand auch das Schädelteilchen, das eingeschlagen war. Es war so groß wie zwei Fünfmarkstücke und passte lückenlos in das Hinterhaupt. Dann grub ich weiter, fand weitere Knochen, weitere verschimmelte Lederteile des Sattels, weitere Metallteile des Sattelbeschlags, weitere Knochen vom Pferd und zwei Hufeisen.
Rodenstock legte die Knochen aus, Tutut bekam eine Gestalt.
»Das Brustbein ist zerschmettert«, murmelte er. »Vier Rippen gebrochen. Der Täter muss gewütet haben wie ein Berserker.«
Ich stieß auf eine Lehmschicht und gab auf. »Ich bin todmüde. Ich will unter die Dusche und in mein Bett. Glaubst du, du findest einen Pathologen, der das untersucht?«
»Durchaus«, sagte er geistesabwesend. »Es muss einen Grund gegeben haben, wahrscheinlich einen ganz banalen Grund. Wahrscheinlich wird jemand von der Stadt kommen, wir sollten warten.«
Also warteten wir.
Die Frauen redeten mit Tessa und Ingbert, es war ein friedliches Bild. Dann kam jemand von der Stadt. Es war eine Frau, und sie sagte: »Dann wolln wir mal schaun, was wir hier haben.« Sie war um die fünfzig, dunkelhaarig, schmal und elegant gekleidet.
»Wir haben ein Loch«, sagte ich.
»Das wäre allerdings nicht sonderlich schlimm«, grinste sie. »Wenn es nur das wäre. Klas hat gemeint, es ist alles in Ordnung und nicht weiter geeignet, sich aufzuregen. Aber wir wollen eben wissen, wir müssen wissen, um was es geht.«
»Sicher«, nickte Rodenstock. Dann berichtete er kurz und knapp.
»Und wir könnten das im Rahmen unseres Archivs auswerten?«, fragte sie.
»Natürlich«, Rodenstock war erfreut. »Selbstverständlich. Wenn wir dafür Unterlagen aus jener Zeit kriegen. Alles, was anliegt, wirklich alles.«
»Sie hätten vorher fragen können«, mahnte sie.
»Das ist richtig«, sagte ich. »Aber Sie wissen, wie das ist. Wir hatten Stress, wir wollten wissen, ob Tutut hier liegt.«
Sie nickte. »Man könnte in einem Protokoll vermerken, dass Sie zu Beginn der Grabung angefragt haben.«
»Das ist aber eine schöne Mogelei«, strahlte Emma.
»So wird es gemacht«, nickte sie knapp. »Und wegen des Archivmaterials rufen Sie mich an. Ich muss heim, ich pflege meine Mutter.« Dann ging sie davon, drehte sich noch einmal um und sagte: »Viel Glück!«
»Und was machen wir jetzt mit Tutut?«, fragte Esther.
»Wir nehmen ihn mit«, entschied Emma. »Neue Freunde muss man pflegen, ihr wisst schon.«
Also verpackten wir Tutut in den Kofferraum und fuhren davon, dreckig, verschwitzt, aber restlos glücklich. Tessa und Ingbert hatten versprochen, über ihre Probleme zu reden, darüber eine Nacht zu schlafen und dann in meinem Haus aufzutauchen.
Im Wagen murmelte Esther ein wenig verlegen: »Also, ich finde es spannend, mit einem Skelett im Auto durch die Gegend zu rollen. Es ist übrigens schön hier.«
Emma konnte sich es nicht verkneifen: »Wir sind dir ungeheuer dankbar, dass du aus der großen, bunten Welt hierhergekommen bist, um uns das mitzuteilen.«
»Vertragt euch, Mädchen«, sagte Rodenstock.
Ich sah Esthers Gesicht aus meiner Position im Außenspiegel. Ich sah, wie sie ganz still zu weinen begann, und ich sah auch, wie Emma ihr ganz sanft die Hand auf die Schulter legte und dazu »Ts,ts,ts« machte.
Auf meinem Anrufbeantworter war Michael Wild zu hören, etwas aufgeregt und fahrig: »Ich habe jemanden, der bei der Beerdigung mitgegangen ist. Rufen Sie mich an?« Dann noch jemand von der Bank: »Sie sollten, sich mal um Ihr Konto kümmern. Ciao!« Dann noch eine Frau, die sich mit den Worten vorstellte: »Ich bin Berta, ich schreibe über das Sterben der Wälder. Sie sollten mich zurückrufen.« Dann Nummer, Adresse. Die Stimme eines offensichtlich jungen, alerten Managers, der versprach: »Wenn Sie, sehr verehrter Herr Baumeister, versicherungsmäßig bei uns einsteigen, werden Sie sich wesentlich besser fühlen.« Dann eine Männerstimme: »Ja, mein Name ist Schmitz. Ich bin der Vater von Tessa Schmitz. Ich will Ihnen sagen, dass ich das Vorhaben meiner Tochter nicht unterstützen kann, weil es unter allen Umständen viel Unruhe in die Stadt Gerolstein tragen wird. Trotzdem wäre ich froh, wenn Sie mich einmal kontaktieren könnten.
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