Der Bär
mit den Aufzeichnungen beschäftigen.« Rodenstock winkte einer Bedienung und bat um die Rechnung.
Wir brachten den Arzt zu seiner Wohnung, setzten uns dann in das Auto und fuhren auf die Autobahn. Wir waren aufgeregt, wir hatten uns an diesem Tag über den zwanzigsten toten Punkt gerettet, nun wollten wir wissen, was der Gerolsteiner Arzt damals vor hundertelf Jahren notiert hatte, als ein scheinbar vollkommen unwichtiger Zigeuner totgeschlagen wurde, weil edle Herren plötzlich Angst bekamen und sich an den Boten hielten.
In Höhe Hasborn wurde die laue Luft plötzlich kühl, im Westen stand eine Gewitterfront, und es donnerte los, als wir die Ausfahrt Manderscheid passierten.
Es regnete heftig und prasselnd. Dreihundert Meter vor dem Dreieck Vulkaneifel stand ein Laster quer, blaue Lichter kreisten, die Polizei war da, die Feuerwehr, das Deutsche Rote Kreuz. Der Laster hatte einen kleinen PKW durch die Leitplanken gedrückt, er sah aus wie eine zerknäulte Bierdose. Wir fuhren langsam vorbei und rollten dann weiter.
Meine Kater Paul, Willi und Satchmo hatten sich wie üblich vor der Haustür versammelt und warteten. Aber sie wirkten nicht gelassen, irgendetwas machte sie unruhig.
»Sie haben Hunger«, konstatierte Emma.
»Haben sie. Aber da muss noch etwas anderes sein.«
Das Gartentor stand auf, da lag ein weißer Zettel auf der Biotonne. In flüssiger Schrift stand da: »Keine Bange, ich bin es nur.«
Der Schamane lag tief schlafend unter der Birke, die ich in Rengen mit Genehmigung geklaut hatte, als ich den Garten anlegte. Wir weckten ihn nicht. Wir gingen ins Haus, ich setzte einen Kaffee an, Rodenstock nahm im Wohnzimmer Bilder von der Wand und klebte drei breite Bahnen Packpapier auf, Emma verschwand irgendwohin und kam in einem Trainingsanzug wieder. Dann versammelten wir uns.
»Dann wollen wir mal sehen, was der Dr. Xaver Manstein uns zu erzählen hat.« Rodenstock hatte eines der uralten Kassabücher vor sich gelegt, auf dem in großen kursiven Lettern 1888 stand. Es dauerte eine Weile, dann sagte er: »Der war offensichtlich an allem interessiert, was so in Gerolstein passierte. Hier, im Mai, schreibt er wörtlich:
Tragischer Unglücksfall am Hang zur Munterley. Der Knecht Alwin Servatius kommt mit einem Pferdefuhrwerk zu Tal gefahren. Die Pferde gehen durch, er kann nicht mehr bremsen, die Pferde jagen ungezügelt auf die Kyll zu, der Wagen wird auf einen Felsen geworfen und stürzt um, der Mann wird vorwärts geschleudert, und nichts kann ihm mehr helfen.
Am 28. Mai 1888 - sieh mal einer an – notiert der Arzt:
S.M. wird unruhig, trinkt ungewöhnlich viel. Ich vermute einen desolaten Zustand in seiner Ehe. Versuche ihn anzusprechen. Er reagiert jedoch nicht.
Dann, am 31. Mai, notiert er:
S.B. war heute zu Gast. Traf auf S.M. und dessen Frau. Habe den Eindruck, dass sie sehr weich wird, wenn sie ihn sieht. Irgendetwas zwischen S.B. und S.M.s Frau geht da vor. Genau registriert: S.M. muss es bemerkt haben, reagiert jedoch ungewöhnlich gelassen, reagiert gar nicht.
Dann folgen andere Dinge, die mit Tutut nichts zu tun haben. Am 2. Juni steht da:
Eindeutig Liebesgesch. zwischen S.B. und dem Drachen. Die Frau zetert nicht mehr, sehr angenehm. Frage mich, wie S.M. reagiert. Müsste wütend reagieren. Warum nicht?
Moment, Moment. Es geht weiter am 4. Juni. Da heißt es:
Traf S.M. im Hotel und deutete an, dass ich die Liaison zwischen seiner Frau und S.B. bemerkt habe. S.M. sieht mich an und nickt, nichts sonst. Nickt einfach. Sagt dann: Kann damit leben, ist sogar eine Erleichterung. Hat selbst eine Frau gefunden. Tiefe Gefühle, sagt er. Ich frage mich: Wer ist die Frau?
Damit ist dann Schluss am 4. Juni.« Rodenstock sah Emma an. »Was sagst du?«
»Unsere Geschichte bekommt Profil«, murmelte Emma. Sie hatte die Daten und Ereignisse mit einem breiten Filzstift auf das Packpapier an der Wand geschrieben. »Das steuerte wohl auf einen Riesenskandal zu, denke ich. Der Arzt hatte Bedenken, suchte wahrscheinlich solidarisch nach Lösungsmöglichkeiten. Sicherlich hatte er keinen Totschlag im Kopf.« Sie legte den Kopf schräg. »Ich glaube übrigens, dass der Dr. Helmholtz in Trier unbedingt recht hatte: Niemals war Wesendonker, den sie alle S.M. oder Schniggers Michel nennen, allein bei Tutut. Wahrscheinlich war der Richter bei ihm. Aber, mach mal weiter, Liebling, vielleicht hat Xaver Manstein noch Botschaften für uns.«
»Hier ist etwas. Am 10. Juni schreibt er:
Die Frau ist M.H.,
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