Der Bär
Vereinbare mit dem Drachen, dass, wenn ihr Mann verschwunden ist, wir eindeutig aussagen, dass er in eine lange währende Kur gegangen ist. Das bringt Zeitgewinn .«
Es geht weiter am 28. Juni. Wörtlich:
Wir haben das alles fest im Griff, die Bürgerschaft ahnt nichts und wird nie etwas erfahren. Wir vereinbaren eine geheime Konferenz. Der Stammtisch wird in drei Tagen nach Hillesheim marschieren. Wir nennen es das Sommerfest, irgendeinen Titel muss das Kind ja haben. Im Augenblick treffen sich die vier in Tututs Lager hoch oben am Anberg.
Ich brauche Kaffee!«
Ich goss ihm eine Tasse ein.
Emma sagte: »Wir kriegen allmählich ein lückenloses Bild. Und allmählich fallen mir die Augen zu. Nehmen wir einmal an, Wesendonker traf den Richter Severus Brandscheid. Sie kamen zu dem Schluss, dass Tutut eine große Gefahr für sie sei. Sie gingen zu Tututs Lager, es kam zu der tödlichen Begegnung.«
»Das reicht mir nicht«, widersprach ich. »Wir vergessen das Grab, das wir ausgebuddelt haben. Da war Tutut, da war das Pferd, da war der Sattel. Und von diesem Grab bis hinunter zu Tututs Lager ist es eben nicht gerade ein kurzer Weg. Nehmen wir einmal an, der Richter und der Arzt werden zusammen mit zwei Gendarmen zum Ort des Verbrechens gerufen. Morgens sehr früh. Zu diesem Zeitpunkt ist meines Erachtens nach alles so belassen worden. Das heißt: Tututs Leiche war noch dort, die Leiche des Pferdes auch, der Karren und der Esel oder Maulesel von Tutut. Könnt ihr mir folgen? Das musste so sein, schon wegen der zwei Gendarmen, denen man ja etwas vormachen wollte. Und genau dieses Bild stimmt für mich nicht mehr. Deshalb bin ich dagegen, dass der Richter und Wesendonker zu Tutut gingen und ihn töteten. Es ist viel logischer, wenn sämtliche Teilnehmer des Stammtisches dort waren und mit vereinten Kräften aufräumten. Wer saß am Stammtisch? Der Arzt, der Richter, der Apotheker, der Kaufmann Mogge, der Lehrer, von dem wir noch gar nichts gehört haben, also mindestens fünf Männer. Ist es denn nicht viel einleuchtender, dass der ganze Stammtisch zugeschlagen hat?«
»Das kann sein«, nickte Emma. »Machen wir jetzt im Zeitplan weiter?«
»Pause«, sagte ich. »Da kommt Vater Schmitz mit seiner Verwandtschaft.«
Sie stolperten übermüdet, aber glücklich herein und setzten sich. Sie sahen den Zeitplan, und wir berichteten ihnen von den Aufzeichnungen des Arztes Dr. Xaver Manstein.
Es gab einiges Durcheinander, als Tessa begeistert schrie: »Wir haben die Lösung, wir haben die Lösung!«
Ingbert widersprach ihr sanft: »Wir haben sie noch lange nicht. Wir wissen immer noch nicht, wer denn Tutut erschlug. Es muss nicht Wesendonker gewesen sein, auch wenn er von dem Bär angefallen wurde.«
»Was habt ihr für einen Liebesbrief?«, fragte ich.
Vater Schmitz murmelte geradezu inbrünstig: »Also, wir wissen nicht, wie die alte Gerolsteiner Lehrerin Fräulein Hasewinkel das hier bekommen hat. Ich nehme einmal an, dass ihr das jemand einfach schenkte, weil sie die Lehrerin war. Sie wird viele Nächte lang darüber gegrübelt haben.« Er nahm aus einem groben braunen Kuvert zwei Bogen Papier und legte sie vor sich auf den Tisch. »Wunderschöne alte Schrift. Der Richter Severus Brandscheid schreibt an seine Geliebte, die Frau des Steuereintreibers Karl-Heinrich Wesendonker.
Das Datum ist der 1. August 1888. Der Text lautet so:
Geliebte Haselmaus!
Bald hat alle Not ein End. Ich werde dieses Schreiben an der gleichen Stelle in der alten Bruchsteinmauer deponieren, die wir ausgemacht haben. Unser sehr rühriger Bote wird es nehmen und mit sich tragen und hinter euer Grundstück gehen und unter den Stein legen. Die Wege dieser Briefe sind, gelinde gesagt, eigentümlich, aber notwendig, und wenn wir lieben, sind wir allesamt wie die Kinder. Unserem Glück soll nichts mehr im Wege stehen können. Dein Mann wird Gerolstein am 1. September verlassen, das hat er mir mitgeteilt und gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass er von diesem Tage an nie mehr wieder den alten Kontinent betreten und sich auch nicht mit einem Brief oder einer Depesche melden wird. Das, was uns anfangs als Unglück erschien, haben wir nun zum Besten gewendet.
Man hat mir aus Cölln die Nachricht gegeben, dass meine Bitte um Versetzung in die Hauptstadt des Reiches auf freundlich zugeneigte Ohren trifft und dass man durchaus daran denkt, noch im Laufe dieses Jahres die Versetzungsurkunde nach Berlin hierherzuschicken.
Ich weiß zutiefst, dass Du
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