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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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was nicht. Euer Xaver Manstein war ein ziemlich mitteilungsfreudiger Mann. Er hat viel eingetragen; manches mit Kürzeln versehen. Zum Beispiel behandelt er hier in diesem Buch auf Seite zweiundzwanzig eine gewisse Lydia Brocker, elf Jahre alt, auf Mumps. Er kürzt Mumps mit MP ab. Also, wir suchen den 24. August 1888, richtig?« Er blätterte, holte dann ein weiteres Buch aus dem Karton, blätterte wieder. »Hier ist Freitag, der 24.8.88. Da steht:
    Pat.n.H.gesch. Muss m. um S.M. kümmern. Too. übernimmt. Eklige Sache das .«
    Er starrte in unsere verblüfften Gesichter und lachte lautlos über unsere Verwirrung. »Das ist überhaupt nicht schwierig, Leute, das ist sogar sehr einfach. Das heißt auf gut deutsch: Patienten nach Haus geschickt, muss mich um S.M. kümmern. Too übernimmt und so weiter. Er hatte also einen schweren Fall, der wichtig war. Was Too heißt, wisst ihr wahrscheinlich, oder?«
    »Das war der Apotheker Toombers«, sagte ich. »Der gehörte zur Herrenrunde. Aber was S. M. heißt, weiß ich nicht. Gibt es andere Eintragungen in dieser Zeitphase?«
    »Gibt es. Es gibt sogar noch ein Postscriptum an diesem Tag: Zustand von S.M. sehr kritisch, spritze Morphium. Die Pr. der Best, hat schreckt. Wunde gerissen . Ich vermute, das soll die Pranke der Bestie heißen. Muss ein Hund gewesen sein oder so was.«
    »Nein, das war ein Bär«, sagte ich. »Ich weiß jetzt auch, was S.M. heißt. S.M. war Schniggers Michel. Wesendonker wohnte im Haus eines Michel Schneider. Und der Arzt hat die Kürzel S.M. für Wesendonker gesetzt.«
    »Wie kommen wir an die Texte?«, fragte Rodenstock. »Können wir das kopieren? Wir müssen auch die ganzen Tage vor dem 24. August haben und vor allem die danach.«
    »Ihr könnt die Bücher mitnehmen, ihr könnt die wichtigen Seiten kopieren und mir die Bücher zurückbringen.«
    »Du bist großzügig«, murmelte Rodenstock. »Vielen Dank.«
    »Ich nehme mal an, dass niemand danach verlangt, nachdem sie hier mehr als hundert Jahre herumgelegen haben.«
    »Es wird die Basis einer Doktorarbeit«, erklärte Emma. »Insofern kann es sein, dass irgendein Tutor der zuständigen Universität um Einblick bittet.«
    »Ich würde mich freuen, eine solche Anfrage zu bekommen«, sagte Helmholtz. »Sieh mal an, eine Doktorarbeit. Medizingeschichte? Regionalgeschichte? Regionalgeschichte ist Mode zur Zeit. Das freut mich. Der alte Manstein hätte sich sicher auch gefreut, dass er nach einhundertelf Jahren aus dem Dunkel geholt wird. Und wer, bitte, soll nun diesen Tutut totgeschlagen haben?«
    »Genau das wissen wir nicht so genau. Es kann dieser Wesendonker gewesen sein, es kann aber auch jemand anders vom Stammtisch getan haben.« Rodenstock rieb sich das Kinn. »Es ist so, dass wir den Tatort nicht genau rekonstruieren können. Es kann ein Mann gewesen sein. War es ein Mann, dann war es mit großer Sicherheit Wesendonker. Es kann aber auch sein, dass es zwei oder drei waren - eine Versammlung höchst ehrbarer Totschläger, könnte man formulieren.«
    »Leben noch Verwandte? Das würde mich interessieren.« Helmholtz lächelte. »Die werden im Dreieck springen, wenn sie hören, was der Ururgroßvater angerichtet hat.«
    »Soweit wir wissen, nicht«, sagte Emma. »Und jetzt laden wir Sie ein zu einem Eis mit viel Sahne oder zu irgendetwas, was Sie jetzt gerne essen würden. Zu einem Wein? Zu einem Sekt? Ein handgeschüttelter Rieslingsekt von der Mosel? Wäre das was?«
    Er war richtig gerührt, er stotterte: »Ich? Richtig eingeladen? Wenn ich richtig eingeladen bin, möchte ich das alles, was Sie gerade aufgezählt haben, gnädige Frau. Also Eis mit Sahne, also Wein, also Sekt, also irgendetwas Leichtes. Kalbsfleisch zum Beispiel.« Er starrte Rodenstock von der Seite an. »Ging dir das nach der Pensionierung auch so? Warst du plötzlich out und hast gar nicht gewusst, warum?«
    »Das ging mir auch so«, nickte Rodenstock. »Kein Schwein rief an, niemand wollte mehr etwas von mir wissen. Nur ein junger Mann der Mordkommission erinnerte sich an mich und wollte Hilfe in einem schwierigen Fall. Und der ausgerechnet war unbeliebt, und ich selbst konnte ihn auch nicht leiden.«
    »Niemand hat mich angerufen, nicht einer. Sie haben alles vergessen, sogar meinen Geburtstag. Manchmal denke ich, ich war ein Leben lang nur von Arschlöchern umgeben. Aber nun seid ihr da, und ich kriege Eis mit Sahne, und mir wird fürchterlich schlecht werden.« Er legte Rodenstock eine Hand auf die Schulter. »Und

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