Der Bär
der Grund, warum sich das alles geändert hat, ist diese Dame hier - wenn ich das richtig verstehe.«
»Richtig«, sagte Rodenstock. »Und dieser Mensch da, dieser Siggi Baumeister. Vielleicht schaffst du dir auch eine Emma an und auch einen Baumeister?«
Helmholtz nickte. »Ich habe vor ein paar Tagen mit meiner Frau drüber gesprochen, ich meine, auf dem Friedhof. Sie hat mir zu verstehen gegeben, dass sie sich über eine solche Entwicklung freuen würde.« Er lachte in übervoller Heiterkeit. »Ich habe zwei einschlägige Adressen, sogar eine Kollegin ist dabei, eine veritable Urologin, höchst praktisches Mädel. Nur etwas scheu, aber immerhin erst einundsiebzig.«
»Das ist doch was!«, sagte Emma herzlich. »Und jetzt will ich Eis.«
In dem Gefühl, einen Riesenschritt getan zu haben, gingen wir mit dem alten Arzt hinaus in den späten Sommerabend.
Ganz Trier schien auf den Beinen und übermächtig heiter zu sein. Sicherlich herrschten noch zwanzig Grad, und sicherlich durften die Kinder dieser Stadt an diesem Abend lange aufbleiben. Auf dem Hauptmarkt, diesem alten Ensemble großmächtiger Kaufleute und Handwerker, herrschte ein Betrieb wie am Samstagvormittag.
Studenten und junge Leute hockten auf dem Pflaster, hielten Cola- und Bierdosen in den Händen und sprachen miteinander. Einige von ihnen hatten Ghettoblaster mitgenommen, und so dudelte die ganze Gesellschaft in verschiedenen Programmen herum, das Gewirr war babylonisch.
Wir fanden einen kleinen Tisch draußen vor einem Restaurant und hockten uns vergnügt hin. Emma bestellte wie üblich eine Platte mit Vorspeisen, Rodenstock und ich hielten uns an große Eisportionen mit Sahne, der alte Helmholtz entschied sich tatsächlich für ein Kalbsfrikassee und ließ Anekdoten aus dem Ärztestand dieser schönen Stadt vom Stapel, wobei er jedes Mal betonte: »Das ist die reine Wahrheit, wie ich hier sitze!« Wir glaubten keine Geschichte, aber sie waren durchweg gut gelogen. Plötzlich, als habe ihn der Blitz eines hellen Gedankens getroffen, fragte er: »Ihr glaubt also, dass dieser Wesendonker, dieser Steuereintreiber, allein an dieses Nachtlager von Tutut ging, dass es einen Streit gab, dass Wesendonker in dessen Verlauf Tutut erschlug. Habe ich das so richtig verstanden?«
»Völlig richtig«, nickte Rodenstock.
»Das kann nicht sein, das kann so nicht sein. Mein alter, längst verblichener Kollege schickt am folgenden Tag diesen Too. hin. Gemeint ist wohl eindeutig, dass dieser Mann, ein Apotheker, die Pflege dieses Mannes übernahm, also von da an jeden Tag hinging. Ich denke, das können wir als gegeben hinnehmen. Er hat aber auch notiert, dass es sich um eine sehr schwere Verletzung handelte. Er notiert, dass die Bestie eine schreckliche Wunde gerissen hat. Darf ich wissen, wie weit entfernt von diesem Nachtlager des Zigeuners das Haus des Steuereintreibers stand?«
»Ich schätze die Strecke auf mindestens vier Kilometer«, gab ich Auskunft.
Er nickte bedächtig. »Also, wenn ein Arzt einwandfrei konstatiert, dass ein Tier eine schreckliche Wunde gerissen hat, dann muss der Mann geblutet haben, sehr massiv geblutet haben. Wahrscheinlich hatte er Wahnsinnsschmerzen. Wie ist er eigentlich dorthin gekommen?«
»Mit einem Pferd, er ritt. Das Pferd allerdings ist am Ende der Szene tot, der Bär hat auch das Pferd gerissen. Wir fanden das Skelett. Ich merke, auf was du aus bist.« Rodenstock nickte.
»Ich denke, dass dieser Verletzte niemals aus eigener Kraft in der Nacht die vier Kilometer hätte zurücklegen können. Da muss mindestens ein weiterer Mann zugegegen gewesen sein.«
»Ich denke, wir müssen die ganze Tatszene neu rekonstruieren«, nickte Emma. »Das leuchtet ein, Karl-Heinrich Wesendonker kann nicht allein gewesen sein. Vielleicht war der Richter bei ihm, vielleicht auch der Apotheker. Aber was sollte der damit zu tun haben?«
»Vielleicht der ganze Stammtisch der edlen Herren«, warf ich ein. »Ich glaube, sie waren alle beteiligt. Ich glaube, sie wollten alle den Skandal vermeiden.«
»Aber welchen Skandal denn?«, fragte der kluge Helmholtz. »Es war in jenen Zeiten im Grunde normal, eine Ehefrau samt Kindern zu haben und sich mit einer Geliebten zu verlustieren, wie man das damals nannte.«
»In den Großstädten, ja«, stimmte ich zu. »Aber sicher nicht in der tiefsten Provinz, sicher nicht in Gerolstein. Da durfte so etwas nicht geschehen.«
»Nimm es mir nicht übel, Helmholtz, aber ich will nach Hause, ich will mich
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